Wo bleibt die Toleranz?

Kinderbücher über Diversität, Akzeptanz und Toleranz

Beitrag von Janett Cernohuby | 15. Oktober 2021

Sollten wir hier nicht schon viel weiter sein? Sollten wir dieses lächerliche Mädchen-/Jungs-Kleidungsdenken nicht schon längst hinter uns gelassen haben? Im Verlauf unseres Gesprächs stellte der Sohn eine sehr berechtigte Frage: „Warum dürfen Mädchen eigentlich Jungsklamotten tragen und werden nicht ausgelacht?“

Wenn wir ehrlich sind, sind wir noch ganz weit weg von Toleranz. Und noch weiter weg von Akzeptanz von Diversität. Offen zugeben würde das natürlich niemand. Nein, wenn wir allgemein darüber sprechen, ist jeder tolerant und offen - aber dann kommen die Relativierungen. Bei der Kollegin, die jetzt ein Kollege ist, ist das natürlich nur eine Spinnerei. Plötzlich ist von Toleranz keine Spur mehr. Da stellt man sich die Frage, wie diese Menschen reagieren würden, wenn das eigene Kind offenbart, lieber einem anderen Geschlecht angehören zu wollen. So wie es Franz Orghandl in dem Kinderbuch „Der Katze ist ganz egal“ erzählt.

Jetzt haben wir hier einen Jungen, der ein Mädchen sein möchte. Sprich, die Person ist einem Geschlecht zugeordnet. Es gibt aber auch Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die mit den Merkmalen beider Geschlechter geboren wurden. Wie ergeht es wohl diesen Kindern in Kindergarten und Schule? Welche Kränkungen müssen sie wohl über sich ergehen lassen?

Junge oder Mädchen, die richtige oder falsche Kleidung - damit beginnen die Schwierigkeiten aber erst. Sie gehen weiter, wenn ein Kind homosexuelle Eltern hat. Wie reagiert der Klassenverband, die Lehrer, das Umfeld allgemein? Auch hier sind wir offen, solange wir davon in Magazinen und Zeitungen lesen. Doch wie sieht der Alltag dieser Kinder aus?

Barnie ist mit zwei Vätern aufgewachsen, kannte ihre Familie nie anders. Aber was geht wohl in einem Kind vor, wenn die Mutter oder der Vater plötzlich ein Coming-Out haben? Vermutlich hätte das Kind selbst keine allzu großen Probleme, doch wie reagieren seine Mitschüler*innen darauf? Mit welchen Reaktionen sieht es sich in der Schule konfrontiert? Einer Schule, deren Mitschüler ja schon ganz klare Regeln über Jungs- und Mädchenkleidung aufstellen?

Unsere Gesellschaft gibt sich sehr gerne tolerant und offen. Doch es ist das eine, von einer solchen Offenheit zu reden, sie zu leben, ist noch einmal etwas ganz anderes. Denn da hört die Toleranz plötzlich auf. Da wollen Menschen ihre alten, klassischen Muster behalten und nur ein bisschen LTBGQ zulassen. Eben gerade so viel, dass es noch für den Deckmantel der Offenheit und Toleranz reicht. Im Alltag steckt hinter unbedachten Phrasen und gar nicht so gemeinten Äußerungen noch sehr viel Alltagsdiskriminierung.

Doch kommen wir noch einmal zurück zum ursprünglichen Kleidungsthema. Was unserem Sohn passierte, ist kein Einzelfall. Hört man sich einmal um, berichten viele Eltern über ähnliche Erlebnisse. Erschreckenderweise passieren solche Diskriminierungen nicht erst im Gymnasium oder in der Mittelschule, nein, schon im Kindergarten werden Jungs ausgelacht, wenn sie ein T-Shirt von ihren Lieblingshelden tragen und eine der Figuren weiblich ist. Es wäre so leicht für die Kindergartenpädagog*innen hier einzugreifen, aufzuklären und den Kindern schon früh Toleranz zu vermitteln. Doch stattdessen kommen auch von ihnen Ausflüchte, dass das ja ganz normale Sticheleien unter Kindern seien. Dabei gibt es auch für solche Situationen wunderbare Bilderbücher.

Das Thema Kleidung ist bei Kindern sehr schwierig geworden, sogar schon bei den Jüngsten. Sie wissen genau, was sie anziehen, um dazuzugehören. Sie wissen, was sie weglassen, wenn sie nicht ausgelacht werden wollen. Doch es gibt immer wieder Kinder, die sich damit nicht abfinden wollen. Die das tragen wollen, worin sie sich wohlfühlen.

Unser Weg zu gelebter Toleranz und Akzeptanz ist noch weit. Doch wir gehen ihn und dank offener Kinderbuchautor*innen und Verlage können wir unsere Kinder schon sehr früh abholen, auf diesen Weg führen und ihnen zeigen, dass Toleranz und Offenheit nicht zu unserem Nachteil sind, sondern zu mehr Vielfalt führen, die unsere Welt bunter macht.