Vor hundert Jahren ging der 1.Weltkrieg zu Ende, der Große Krieg, wie er immer wieder genannt wird. Es braucht Mut und Geschick heute, so viele Jahre später, noch einen Roman zu erdenken, der eine Brücke über dieses Jahrhundert schafft.
“Der Duft des Waldes” von Helene Gestern ist zweifellos eine Liebesgeschichte, oder vielmehr eine Geschichte um die Liebe. Aber eigentlich sind es mehrere solche Geschichten in einem Buch. Elisabeth Bathori, die Ich-Erzählerin, hat gerade ihren Mann an eine schwere Krankheit verloren. Sie ist Medien-Historikerin. Eine alte Frau übergibt ihr einen Packen Briefe, geschrieben im 1.Weltkrieg, von einem Soldaten im Feld, an seinen daheimgebliebenen Freund, einen berühmten französischen Schriftsteller. Die Freunde haben versucht, an der Zensur vorbei, in Worten und Bildern das Grauen des Krieges festzuhalten. Gleichzeitig hat ihr Leben zahlreiche miteinander verwobene Geschichten um Liebe, Begehren und Verlust geschrieben. Elisabeth spürt dieser Geschichte nach und erlebt ihre eigene nach dem Tod ihres Mannes neu. Unterwegs in halb Europa, zwischen Paris, Lissabon, Madrid, Genf und einem Häuschen in Jaligny.
Der Große Krieg
Die siebenhundert Seiten des Buches bieten genug Raum mehrere Geschichten zu erzählen. Gegenwart und Vergangenheit sind ineinander verwoben ohne es wirklich sein zu können, da die Menschen der Geschichte, die zur Zeit des 1.Weltkriegs spielt, natürlich alle schon lange tot sind. Aber aus den Dokumenten, beschriebenen Bildern und diversen Erinnerungen an Gespräche mit Großeltern und anderen Zeitzeugen schält sich eine spannende und ergreifende Geschichte, die das Potential zu einer großen, dramatischen Liebesgeschichte hat. Schicht um Schicht wird die Vergangenheit freigelegt. Die parallel laufende Handlung in der Gegenwart kann da natürlich nur schwer mithalten. Die Zwänge der Vergangenheit, der schon geschehenen Dinge, faszinieren weitaus mehr.
Die Gegenwartsgeschichte birgt zwar auch durchaus Dramatik, manch dunkle Geheimnisse und wird auch nur Schritt um Schritt enthüllt, bleibt aber vergleichsweise oberflächlich. Zu schön, zu malerisch ist das geerbte, kleine Haus am Rand des titelgebenden Waldes, zu absehbar sind die Konflikte und manche Wendungen der Handlung.
Liebe, die überdauert
Das Buch ist eine Mischung aus Erzählung, Briefdokumenten und Beschreibungen von Szenen, die sich so in der Vergangenheit zugetragen haben könnten. Es gliedert sich letztlich in fast hundertsiebzig Kapitel, die parallel Vergangenheit und Gegenwart erzählen. Die Gegenwart aus der Perspektive der Ich-Erzählerin, die Vergangenheit in den Briefen, die Alban de Willecot von der Front an seinen Freund Anatole Massis schreibt.
Die Erzählung ist ungeheuer visuell, in ihrer Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart drängt sich der Gedanke an die mögliche filmische Darstellung fast auf und man fühlt sich an all die Filme erinnert, die ihre lang zurückliegenden tragischen Liebesgeschichten aus der Perspektive des Jetzt erzählen. Ihre Vergangenheit und das Nacherleben eines schon feststehenden Endes machen sie umso schmerzlicher, dramatischer.
Insgesamt ist “Der Duft des Waldes” mit seinen Schauplätzen, aber auch die Art der Erzählung - dialogreich und mit viel Reflexion - ein sehr französisches Buch.
“Der Duft des Waldes” ist ein Buch für alle, die an großen, dramatischen Liebesgeschichten interessiert sind. Aufbereitet in einer Mischung aus den Briefen von der Front und den schrittweisen Enthüllungen und Schlussfolgerungen, die die Erzählerin ergänzt, entsteht eine dramatische Geschichte aus einer lang vergangenen Zeit. Das Geschehen aus dem 1.Weltkrieg erscheint dabei in den geschilderten Hintergründen durchaus historisch authentisch, ohne das Buch dadurch zu einem Geschichtsbuch zu machen.
Details
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Originaltitel:L'odeur de la foret
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Sprache:Deutsch
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Erschienen:07/2018
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Umfang:704 Seiten
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Typ:Hardcover
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ISBN 13:9783103973433
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Preis (D):26,00 €