Aus schriftstellerischer Sicht hat die Zukunft gegenüber der Vergangenheit einen gewaltigen Vorteil. Während man bei der Vergangenheit gezwungen ist, sie einigermaßen authentisch darzustellen, ist die Zukunft ein noch unbeschriebenes Blatt Papier. Autoren können ihrer Fantasie also freien Lauf lassen und allerlei Ideen oder Ideologien sowie moralische Appelle einfließen lassen. Dass aber die wenigsten Autoren die Zukunft in rosig schimmernden Farben zeichnen, beweist auch Dimitri Glukhovsky in seinem Roman "Future".
Europa ist ein Moloch. Eine einzige Stadt, die sich von West nach Ost ausbreitet. Und in dieser leben über 12 Milliarden Menschen, die allesamt unsterblich sind. Unsterblich, weil die Wissenschaft irgendwann das Gen isolieren konnte, das für das Altern verantwortlich ist und eine wirkungsvolle Therapie entwickelt hat. Doch da niemand mehr stirbt, ist Fortpflanzung äußerst streng reglementiert. Will ein Paar ein Kind haben, muss sich einer der Elternteile dazu entscheiden, zu altern und zu sterben. Jan Nachtigall, im Internat Nummer 717, ist Teil einer Eingreiftruppe, die bei illegalen und nicht angemeldeten Schwangerschaften interveniert. Sie injizieren einem der Elternteile den sogenannten Akzelerator, der (wie der Name schon sagt) beschleunigte Alterung einsetzen lässt. Illegal gezeugte Kinder kommen dann in Internate, wo sie selbst zu Jägern von illegalem Nachwuchs ausgebildet werden. Doch nicht überall auf der Welt funktioniert das System auf gleiche Weise. In Russland besitzt niemand die Unsterblichkeit und in Amerika nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. So sind Konflikte vorprogrammiert. Konflikte, die Jan nicht wirklich versteht, er versucht selbst mit seiner Rolle in der Welt fertig zu werden. Doch unversehens wird er in ein Spiel der Mächtigen, allen voran Senator Erich Schreyer, verwickelt, der mit ihm seine eigenen Pläne hat. Und plötzlich, nach dem Verschonen eines Terroristen und dessen Freundin, weiß Jan Nachtigall nicht mehr so genau, auf welcher Seite er nun steht.
Es ist immer schwierig ein einzigartiges und noch nie dagewesenes Zukunftsszenario zu erschaffen. Daher gibt es auch in Dmitry Glukhovsks Roman "Future" einige Anleihen. Dennoch ist dem russischen Autor gelungen, ein düsteres und beklemmendes Szenario zu erschaffen, das in sich glaubwürdig ist. Ein wenig unsicher ist man allerdings bezüglich der in die Handlung eingeflossenen Prämissen. Was soll hier mitgeteilt werden? Dass eine Welt, in der es den Tod nicht mehr gibt, auch keine kreativen Meisterleistungen vollbracht werden? Das ist vermutlich richtig. Dass eine Regierung, in der Politiker ewig an der Macht bleiben, nicht ganz so gut ist? Nun, vielleicht nicht ganz so deutlich, aber in Ansätzen. Und vielleicht sogar, dass die Weltbevölkerung auch ohne Unsterblichkeit in den nächsten 50 Jahren auf weit über 10 Milliarden Menschen anwachsen wird? Nein, das schreibt er eigentlich nicht.
Insgesamt ist das Werk trotz der einen oder anderen Schwäche des Protagonisten im Hinblick auf seinen Lebenswandel und seiner Konstitution unter Berücksichtigung gewisser äußerer Umstände sehr gut gelungen. Man kann sich hier einer weiteren Dystopie widmen, die vielleicht im Ansatz weniger glaubwürdig ist als andere schon existierende. Das wird jedoch durch die überzeugend ins Setting eingebetteten Charaktere mehr als wettgemacht. "Future" ist ein Roman, an dem Science-Fiction-Liebhaber auf keinen Fall vorbeigehen sollten.
Nach seinen "Metro"-Romanen hat Dmitry Glukhovsky mit "Future" einen beklemmendes und dystopisches Werk aus dem Bereich Science-Fiction vorgelegt. Auch wenn der Roman die eine oder andere kleine Schwäche hat, ist das Werk insgesamt sehr gut gelungen. Selbst wenn das Zukunftsszenario nicht unbedingt eines der naheliegensten ist, wird die Geschichte spannend, düster und unterhaltsam dargebracht. Fans des Genres sollten hier unbedingt zugreifen.
Details
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Sprache:Deutsch
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Erschienen:05/2014
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Umfang:928 Seiten
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Typ:Taschenbuch
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ASIN:3453315545
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ISBN 13:9783453315549
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Preis (D):16,99 €