Der Wind trägt die Worte

Der Wind trägt die Worte, Band 1

von Waldtraut Lewin
Rezension von Janett Cernohuby | 21. April 2012

Der Wind trägt die Worte, Band 1

"Warum wurden die Juden eigentlich immer verfolgt?", ist eine Frage, die sicherlich manches Kind oder mancher Jugendlicher seinen Eltern stellt. Spätestens dann, wenn im Geschichtsunterricht das Dritte Reich behandelt wird. Aber auch in historischen Romanen ist immer wieder vom Hass gegen die Juden zu lesen. Oftmals erhält der Fragenden dann leider die Antwort "Das war halt schon immer so." Das ist keineswegs zufriedenstellend. Wer also wirklich hinter das "Warum" kommen möchte, dem kann man die Buchreihe "Der Wind trägt die Worte" von Waldtraut Lewin nahelegen, von der wir uns den ersten Band angesehen haben.

Das Buch führt den Leser nach Mesopotamien, in das Zweistromland, wo wir eine Gruppe Nomaden vorfinden, auf dem Weg in eine neue Heimat. Denn der Herr hat es dem Patriarchen Abraham befohlen. Der erste Teil, quasi der biblische Abschnitt, beginnt bei den Ursprüngen, die teilweise von Archäologen belegt sind, teilweise auch nicht. Doch ein Fünkchen Wahrheit liegt in allen Legenden und daher sollte man weniger an diesem Teil zweifeln als sich fragen was Kern der Geschichte sein könnte. Mit dem Untergang des jüdischen Staates Israel, mit der Vertreibung der Juden, der sogenannten Diaspora, endet dieser erste Teil. Der zweite beginnt wieder mit einer Reise, wie es bei Nomaden üblich ist. Doch diese gleicht eher einer Flucht. Einer Flucht Richtung Afrika, Kleinasiens und auf die Straßen der römischen Legionen in Europa. Hier versuchen kleinere Gruppen sesshaft zu werden, sich mit den Bewohnern zu arrangieren und ein neues Leben aufzubauen. Doch diese Existenz steht von Anfang an auf wackeligen Beinen. Während die Juden im arabischen Andalusien noch lange Zeit gut behütet leben konnten, litten jene in römisch-katholischen Gebieten stark unter religiösem Übereifer. Daher wurde ihnen Schuld an der Pest gegeben; ihnen Morde an Kindern (selbst wenn diese noch lebten oder niemals existierten) in die Schuhe geschoben und stets waren sie der Grund für allen Übels. Zwangstaufen waren an der Tagesordnung und der Hass gipfelte schließlich in der Zeit, als die Juden aus Spanien vertrieben wurden. Damit beginnt die Autorin den dritten und letzten Teil des Buches. Kommen die Vertriebenen anfangs noch in Portugal unter, werden sie auch hier bald wieder vertrieben. Flucht, Verkauf in die Sklaverei oder Zwangstaufen stehen noch immer an der Tagesordnung. Es folgen die Errichtungen von Ghettos, in denen sie bald leben müssen - nicht zuletzt angeordnet durch den Papst selbst. An der Schwelle zur Neuzeit endet dieser erste Band. Das Jüdische Volk ist in alle Winde zerstreut und bis zur Moderne steht den Juden noch ein dorniger Weg bevor.

So richtig beantwortet wird die Frage nach dem "Warum" eigentlich nicht, aber man beginnt verschiedene Ursachen und Gründe zu sehen. Denn von Anfang an wurde das jüdische Volk, damals noch Israel genannt, bekämpft, verfolgt und verjagt. Später, als die römisch-katholische Kirche immer mehr Macht erlangte, kam dann natürlich noch der religiöse Eifer hinzu. Fanatismus, aber auch Geldgier und Neid auf die Dinge, die Juden erreichten und schafften. Diese - in wenigen Worten zusammengefasten Gründe - bringt die Autorin Waldtraut Lewin ihren Lesern mit dem vorliegenden Werk nahe. Sie erzählt die Geschichte des Volkes Israels, begonnen beim Stammvater Abraham bis zum Ausgang des Mittelalters. Es sind die Geschichten eines Volkes, voller Hoffnung, Glaube, Zwietracht, Entbehrungen, Ruhm und Glanz und zahlreicher Familientragödien.
Und es ist Waldtraut Lewin gelungen. Man lernt mit diesem Buch ein Volk kennen, wie man es ohne tiefgreifende Studien oder Recherchen nicht tun würde. Dabei ist es keineswegs ein Buch, das die Juden in höchsten Tönen lobt, denn es zeigt ebenso ihre Fehler und Schwächen auf. Aber es ist ein Werk, das zum Verständnis beiträgt. Und es ist ein Sachbuch, welches trotzdem auch auf erzählerische Freiheiten und kurze Geschichten zurückgreift. Insgesamt lässt es sich in drei Formen unterteilen (wie auch die Autorin selbst im Vorspruch sagt): historische Fakten, Zeitberichte und eben Kurzgeschichten. Diese Mischung macht das Werk zu einem angenehm lesbaren Buch, welches sich nicht auf trockene und für Otto-Normalleser ermüdende Schreibweise beschränkt.
Aber ganz so leicht und angenehm zu lesen ist "Der Wind trägt die Worte" dennoch nicht. Anders als Avi Primor, der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland, in seinem Begleitwort schreibt, ist das Werk anstrengend zu lesen und man braucht Konzentration und Aufmerksamkeit. Doch das liegt weniger an den historischen Ereignissen und wie die Fakten aufbereitet wurden, als vielmehr an der Sprache selbst. Denn anders als man es von einem Jugendbuch erwartet (als solches wird es schließlich angepriesen), ist die Sprache oft sehr hochtrabend und aufgesetzt. Hinzu kommt, dass man an vielen Stellen das Gefühl hat, das Buch wurde aus einer anderen Sprache ins Deutsche übersetzt und es haben sich kleinere Übersetzungsfehler eingeschlichen. So manche verwendete Phrase ist haarsträubend und falsch. Hier kann man an das Lektorat nur die Bitte richten, das Werk für eine (hoffentlich erscheinende) 2. Auflage noch einmal gründlich zu überarbeiten und für Jugendliche deutlich ansprechender zu machen.

Doch abgesehen vom letzten Kritikpunkt kann man "Der Wind trägt die Worte" eigentlich nur jedem empfehlen, der mehr über die jüdische Geschichte wissen möchte, aber dafür keine langen und aufwendigen Studien oder Recherchen betreiben möchte. Das Werk ist für Jugendliche gedacht, dennoch wird es selbst für Erwachsene anstrengend zu lesen sein und es ist fraglich, wie viele der über 700 Seiten ein Jugendlicher lesen wird.
Trotzdem: Ein hervorragendes Werk, auf dessen zweiten Band wir schon sehr gespannt sind.

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