Wild Cards
Vier Asse
von George R. R. Martin
(Hrsg.)
Rezension von Stefan Cernohuby
| 11. Juli 2016
Nur weil es etwas schon seit langer Zeit gibt, bedeutet das nicht automatisch, dass es gut ist. Im Umkehrschluss bedeutet es aber auch nicht, dass etwas keine Qualität besitzt, nur weil es sich nicht im ersten Anlauf durchsetzen kann. Die von George R. R. Martin herausgegebene Reihe „Wild Cards“ ist so ein Fall. Die Heyne-Taschenbuchausgabe, die Mitte der 90er auf Deutsch erschien, war einerseits optisch nicht besonders ansprechend, andererseits in bester Manier nach der Übersetzung in zwei Bände geteilt. Nun will man vergangene Fehler bei Penhaligon beheben und hat nach den neuesten Bänden nun auch „Vier Asse“ neu herausgebracht.
Alles beginnt irgendwann, so auch die Alternativwelt der „Wild Cards“. Inmitten einer von Krieg zerrütteten Welt taucht ein Außerirdischer auf, den alle irgendwann „Dr. Tachyon“ nennen. Er behauptet, sein Volk wolle eine Waffe an der Menschheit testen und er wäre der einzige, der sie aufhalten könne. Als die Waffe jedoch einem verrückten Wissenschaftler in die Hand fällt, liegt es am legendären Fliegerass Jetboy, ihn aufzuhalten. Doch der noch nicht einmal erwachsene Junge scheitert – und das Virus verbreitet sich. Manche Leute ziehen die „Pik-Dame“ und sterben, manche entwickeln leichte Fähigkeiten und werden „Zweien“, degenerieren zu Monstrositäten und sind somit „Joker“ oder haben Superkräfte und sind somit „Asse“.
Science-Fiction Großmeister Roger Zelazny hat die Folgegeschichte verfasst, die den Titel „Der Schläfer“ trägt. In ihr geht es um einen Charakter namens Croyd, der immer wieder lange Zeiträume verschläft und jedes Mal anders erwacht – manchmal mit „Ass“-Fähigkeiten, manchmal als entstellter „Joker“. Er wird zu einer Art „Running Gag“ im ganzen Band, da er immer wieder auftaucht.
Walter John Williams erzählt die Geschichte der Vier Asse, die letztendlich durch das „Judas-Ass“ auseinanderbrechen. Die weiteren beteiligten Autoren, darunter Melinda M. Snodgrass, Victor Milan und George R. R. Martin, erzählen weitere zusätzliche Geschichten. Ein Bild entsteht, wie ein Mosaik. Bilder von politischer Verfolgung Andersartiger. Geheimdiensteinsätze im Namen des Vaterlandes, sexuell aktivierbare Kräfte und der große und mächtige Turtle sind wichtige Bestandteile des ersten Werks.
Während die Kurzgeschichte in Übersee eine eigene literarische Meisterdisziplin ist, konnte sie sich im deutschsprachigen Raum nie wirklich durchsetzen. Auf die beiden Bände verteilt, verkamen in den Augen vieler potenzieller Käufer auch die „Wild Cards“ zu einer Kurzgeschichtensammlung, die trotz des großen gemeinsamen Bildes nur wenig Anklang fand. Der aktuell vorliegende Band mit seinem ansprechenden Design und dem „Jetboy“-Cover ist allerdings ein völlig anderes Kaliber als früher – insbesondere da George R. R. Martin nicht zuletzt durch die Fernsehadaption „Game of Thrones“ seiner Erfolgsreihe „A Song of Ice and Fire“ Medienpräsenz besitzt, von welcher andere Autoren nur träumen können. Verdienen würde es das Werk, denn „Vier Asse“ gewährt dem Leser nicht nur einen ersten Einblick in eine schrecklich-schöne Welt, sie stellt auch die erste Generation an Helden vor, von denen einige für viele Jahre andere Charaktere maßgeblich beeinflussen. Und ja, einige wenige tauchen sogar immer noch auf. Insofern können wir das vorliegende Buch nur empfehlen. Zahlreiche andere Autoren haben versucht das Konzept des Mosaikromans in ähnlicher Form nachzuahmen, aber niemals dieselbe Intensität des Ergebnisses erreicht.
„Vier Asse“ ist der erste Roman aus dem „Wild Cards“-Universum, herausgegeben und mitverfasst von Star-Autor George R. R. Martin. Das Werk, das erstmals Mitte der 1990er in deutscher Sprache erschienen ist, trumpft nun durch neues Design, Cover und die Tatsache auf, dass man endlich alle Geschichten des Werks in einem Buch kaufen kann. Es stellt einen Meilenstein für kooperative Autorenprojekte und -welten dar, den man ohne Einschränkung empfehlen kann.
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