Tad Williams im Interview

„Ich habe versucht meiner Frau zu erklären, warum kein weiteres Buch über Osten Ard schreiben konnte.“

Beitrag von Stefan Cernohuby | 19. Oktober 2017

Dank des Verlags Klett-Cotta bekamen wir die seltene Gelegenheit ein Interview mit Tad Williams zu führen. Der amerikanische Autor aus Kalifornien, der seine frühsten Erfolge zu Beginn der 1990er Jahre mit der Reihe Das Geheimnis der großen Schwerter (Englisch: Memory, Sorrow and Thorn) hatte und dessen Bücher insgesamt über 17 Millionen Mal verkauft wurden, kehrt nun nach Osten Ard zurück. Auf den Kontinent, auf dem seine ersten Abenteuer als professioneller Autor angesiedelt waren. Natürlich mussten wir ihm diesbezüglich einige Fragen stellen und darüber hinaus über seine Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft.


(COMMENT: This is the German translation of my Interview with Tad Williams. If you look for the original in English language, this can be found HERE)

Bevor Sie in Frankfurt angekommen sind, tourten Sie mit Ihrem neuen Buch Die Hexenholzkrone durch Deutschland. Wie wichtig ist Ihnen der Kontakt mit Ihren deutschen Fans?

Oh, Deutschland und der deutschsprachige Raum sind mittlerweile einer meiner größten Märkte. Genauso wichtig wie der amerikanische oder der kolonial-britische Markt. Schon allein deshalb ist Deutschland sehr wichtig für mich. Aber auch wegen der vielen schönen Dinge, die mir hier aufgrund meiner deutschen Publikationen widerfahren sind. Deswegen mag ich Deutschland sehr. Ich bin glücklich hier zu sein, darüber dass meine Verleger und so viele andere Leute, die ich hier treffe, so freundlich zu mir sind. Ich bin wirklich sehr, sehr gerne hier.

Neben den Reisen von einer Veranstaltung zur anderen, haben Sie überhaupt die Chance, Teile von Deutschland zu sehen?

Nicht so viel davon, wie ich gerne würde. Es ist beinahe jeden Tag eine andere Stadt. Da tendiert man schon dazu, in der Früh aufzustehen, schnell zum Bahnhof oder Flughafen zu rauschen, kommt an und wirft seine Siebensachen ins Hotel. Normalerweise ist bin ich dann unterwegs für Interviews, lese am Abend, gehe mit den Buchhändlern Essen und dann zurück ins Hotel. Und dann, am nächsten Morgen, steht man auf und macht das ganze nochmal. Aber das gute an der Sache ist, nachdem ich jetzt schon einige Male hier war, halte ich immer die Augen offen nach Orten, an denen ich gerne Urlaub machen oder die ich gerne besichtigen würde. Aber so ist es schon schwer. Außer wenn wir irgendwo im Zentrum sind, da kann ich immer herumgehen und mir die Gegend anschauen.

Das heißt, Sie sind noch nicht so bekannt, dass sie von zahlreichen Passanten wegen eines Interviews angesprochen werden?

Nein, obwohl mich tatsächlich manchmal Leute erkennen. Das amüsiert mich irgendwie, ist aber trotzdem nett.

Abgesehen von der Kurzgeschichte Der brennende Man aus dem Jahr 1998 waren es ziemlich genau 24 Jahre, seit dem letzten Roman aus Das Geheimnis der großen Schwerter. Wie fühlte es sich an, auf den Kontinent Osten Ard zurückzukehren?

Es ist spannend. Ich habe mich dabei sehr gut gefühlt. Osten Ard war immer etwas Besonderes für mich. Aber ich wollte so etwas nie tun, ohne vorher die Geschichte dazu zu haben. Als ich den Leuten erzählt habe, dass ich daran zu schreiben begonnen hatte, meinten sie: „Oh, Tad schreibt wieder etwas über Osten Ard. Das waren meine Lieblingsbücher als ich jung war, ein Teenager.“
Und plötzlich bekam ich große Angst. Denn mir wurde schlagartig klar, dass ich nicht nur ein neues Buch schreiben würde, von dem ich will, dass es die Leute mögen. Denn wenn sie es nicht mögen würden, könnte ihnen das auch die frühen Romane verderben.
Für mich persönlich war das Gefühl, wieder daran zu arbeiten, sehr gut. Ich habe nie zuvor eine Fortsetzung geschrieben, bin nie wieder zu etwas zurückgekehrt. Ich hatte mich vorher gefragt, ob das wohl immer noch aufregend für mich wäre. Im Endeffekt war es sehr, sehr aufregend. Ich habe es wirklich genossen darüber nachzudenken wie all diese Charaktere sich verändern würden. Und ich genieße es noch immer.

Fans haben immer wieder gefragt, ob es Neues aus Osten Ard geben würde. War es wie das stetige Tropfen von Wasser, das den Stein höhlt, oder haben Sie einfach gefühlt, dass es Zeit dafür war?

Tatsächlich ist etwas ganz anderes passiert. Ich habe meiner Frau, dem finanziellen Kopf der Familie, versucht zu erklären, warum ich nicht einfach ein weiteres Buch über Osten Ard schreiben konnte. Denn sie hat gesagt: „Aber die sind so beliebt. Deine Fans würden es lieben ein neues Buch zu sehen.“
Und ich habe ihr geantwortet. „Aber ich habe doch keine Story!“ Und als ich über weitere Gründe sinniert habe, warum ich es nicht tun konnte, habe ich ein wenig nachgedacht. Darüber, dass es fast 30 Jahre her war, seit ich zum ersten Mal an diesen Büchern geschrieben hatte. Ich war eine ganz andere Person. Seitdem wurde ich geschieden, habe wieder geheiratet, habe in einem anderen Land gelebt und bin Vater geworden. Das war fast ein halbes Menschenleben. Wie würde es wohl den Charakteren in Osten Ard ergangen sein? Was war wohl mit Simon passiert? Was mit Miriamele? Als ich begann darüber nachdzudenken, wollte ich wissen, was wohl mit den Charakteren passiert war, die jetzt entweder sehr alt oder gestorben waren. Was wäre mit den neuen, die unweigerlich vorkommen würden. Wie hätten sich die Länder verändert? Und bevor ich es realisierte, begannen all diese Gedanken PING; PING, PING in meinem Kopf zu machen. Als ich am nächsten Morgen aufstand, sagte ich zu meiner Frau: „Verdammt! Jetzt muss ich ein neues „Osten Ard“-Buch schreiben. Nein, mindestens drei Bücher. Das wird ein Riesenjob!“ So ist das wirklich passiert. Ich wollte erklären, warum es unmöglich war und habe mir dann selbst erklärt, wie ich es doch konnte.

Die Originalreihe ist über Das Herz der verlorenen Dinge mit der neuen Reihe verbunden, die mit Die Hexenholzkrone beginnt. Danach wird es also mindestens zwei weitere Bücher geben?

Ja, ich habe bereits das nächste beendet, das auf Englisch den Titel Empire of Grass trägt.

Wie ist der Plan für die Veröffentlichungen? Wird es pro Jahr ein Buch geben?

Das ist schwer zu sagen. Es ist nicht nur die Zeit, die ich brauche diese unglaublich langen Bücher zu schreiben. Es kommt auch auf den deutschen Markt an. Da gibt es Übersetzungen. Und was man Klett(-Cotta) zugutehalten muss, die nehmen ihre Übersetzungen sehr, sehr ernst. Das ist gut so. Deshalb verwendet man auch nur eine Handvoll Leute. Daher muss man manchmal auf den Übersetzer warten. Ich habe in all den Jahren nur zwei Übersetzer bei Klett-Cotta gehabt. Cornelia Holfelder von der Tann, die Osten Ard übersetzt, und Hans-Ulrich Möhring, der die Otherland-Bücher übersetzt hat.
Ich weiß es also nicht ganz genau. Den zweiten Roman habe ich in ziemlich genau einem Jahr geschrieben. Und er ist länger als die Hexenholzkrone. Ich weiß noch nicht wie lange der letzte sein wird, aber wir werden das schon hinbekommen. Und sagen wir es mal so. Ich werde vermutlich früher fertig werden als George R. R. Martin.

Wenn jemand nur deine ersten Romane der Osten Ard-Reihe kennt. Wie würdest du ihm die neuen Romane in einigen wenigen Worten erklären?

Ein großer Teil der Handlung erzählt davon, was mit Simon und Miriamele passiert ist. Die beiden befinden sich immer noch im Zentrum der Handlung. Doch sie sind auch König und Königin, Herrscher eben. Alles war eine Zeitlang friedlich und wird gerade erst wieder weniger friedlich. Aber, weil es eine andere Buchreihe ist, erfährt man auch mehr über die Feinde, wie die Nornen. Die Leser mögen das. Und da ist eine neue Generation, ein Enkel, der ein Hauptcharakter wird. Es ist eine Mischung aus beidem, bekannten Charakteren und neuen Charakteren. Aber die Bücher werden sich, glaube ich, so anfühlen wie die ersten Romane. Der Stil ist sehr ähnlich, die Art und Weise wie ich viele, viele Charaktere benötige, um die Geschichte zu erzählen. Und viele der Charaktere der ersten Romane befinden sich auch in diesen Büchern.

Jetzt, wo Fans plötzlich mit der Realität einer neuen Osten Ard-Reihe konfrontiert sind, mehrere Bücher auf sich zukommen sehen… von Otherland ist 2001 der letzte Roman erschienen, danach gab es noch zwei Kurzgeschichten. Existiert die Möglichkeit, dass, wenn die zweite Osten Ard-Reihe abgeschlossen ist, es auch eine Rückkehr in die Welt von Otherland gibt?

Ich denke das ist sehr gut möglich. Eines, was mir beim aktuellen Buch und der Erfahrung dabei bewusstgeworden ist: Ich wollte nie eine Geschichte schreiben, um sie erledigt zu haben, abzuhaken. Etwas zu machen, was ich bereits getan habe. Ich wollte nie ein Franchise wie Kentucky Fried Chicken haben. Eine Geschichte hier, noch ein Osten Ard-Buch da. Aber jetzt, wo ich es geschrieben und herausgefunden habe, dass ich tatsächlich die gleiche Freude daraus gewinnen kann wie eine komplett neue Story zu schreiben, denke ich auch über Otherland nach. Über das Universum von Otherland und die Dinge, die ich weiter erforschen möchte. Auf die ich gerne zurückkommen würde. Ich weiß nicht, ob Sie die Kurzgeschichten gelesen haben...

Ja.

Klarerweise ist Orlando ein sehr interessanter Charakter, auch wegen der Dinge, die ihm widerfahren sind und wegen der Rolle, die er jetzt innehat. Es ist nichts sicher, weil noch eine konkrete Idee fehlt. Aber ich spüre einige vage Ideen unter der Oberfläche brodeln, daher ist das nicht unwahrscheinlich.

In Deutschland ist die größte Audioproduktion, die jemals für ein Hörspiel stattgefunden hat, für die Otherland-Reihe gelaufen. Es waren insgesamt 250 Schauspieler und über 20 Stunden Laufzeit.

24 Stunden.

Ist das etwas, auf das Sie stolz sind?

Oh ja, sehr stolz. Ich glaube Walter Adler, der Produzent, hat einen tollen Job gemacht. Ich habe mir das ganze Hörspiel angehört. Das Bisschen Deutsch, dass ich spreche, habe ich aus dem Hörspiel. Die Sache ist die, wenn man Schriftsteller ist, dann kommen immer Leute zu einem und sagen: „Oh, ich würde gerne etwas mit diesem Roman machen. Einen Film oder vielleicht ein Theaterstück.“ In den meisten Fällen wird aus diesen Versprechungen nichts.
Walter ist zu mir gekommen, er wurde mir von meinem Verleger bei Klett-Cotta vorgestellt. Er sagte zu mir: „Ich werde etwas daraus machen. Ich werde ein Radio-Hörspiel machen. Aber ich muss mir zuerst Geld besorgen. Daher wirst du eine Zeitlang nichts von mir hören.”
Das war bei einem Meeting. Ich habe ihn für einen smarten und netten Mann gehalten, aber das war alles. Denn dann war er weg. Es sind zwei Jahre vergangen und ich habe ihn komplett vergessen. Ich dachte, das war wieder nur einer dieser Fällen von „Ich möchte das machen“ und nichts passiert. Zwei Jahre später ruft mich Walter plötzlich an und meint: „So, ich hab das Geld, wir machen es. Es wird ein unglaubliches großes Projekt und wir kriegen all diese Schauspieler.“ Und er erzählt mir von Schauspielern, die sogar ich als Amerikaner kenne. Sie wissen schon Sophie Rois und die ganzen anderen. Und ich frage nur: „Wer waren Sie nochmal? Haben wir uns schon mal getroffen?“
Er sagt: “Ich bin Walter, wir haben uns in Stuttgart getroffen und darüber geredet.“ Und er hat es gemacht. Ich glaube, er hat wirklich ein wundervolles Stück Arbeit geleistet.

Wir haben es uns gehört, als es erschienen ist. Es war wirklich fesselnd und überwältigend, besonders am Anfang. So viel Action, so viel Lärm, so viele Leute gleichzeitig. Wir waren sehr überrascht.

Ja, ich auch. Wissen Sie, einige Leute die es bekommen haben oder denen es jemand gegeben hat, haben gedacht, es sei ein Audiobuch. Also einfach jemand, der die Geschichte liest. Die haben die CDs eingelegt und dann ging es BAMM, BUMM, ZISCH! Dazu all die Stimmen, die Musik, die Soundeffekte. Es ist toll geworden, ich liebe es!

Wenn Sie jemand fragen würde, welche Ihrer Reihen sie am meisten mögen. Shadowmarch, Die Drachen der Tinkerfarm, Bobby Dollar oder die Reihen, über die wir schon geredet haben – was würden Sie sagen?

Das ist sehr schwer. Es ist ein bisschen wie Eltern zu fragen, welches Kind man am meisten mag. Ich denke am meisten bin ich auf die Otherland-Bücher stolz. Diese zeigen all die verschiedenen Dinge, die ich schreiben kann. Von Abenteuer über Comedy zu vielen, seltsamen Ideen. Aber ich bin auf alle meine Bücher stolz, auch auf die über Osten Ard. Diese waren mein erster Versuch eine große Welt zu schaffen, in der man sich verlieren kann. Und die Charaktere sind mir sehr wichtig. Eine der beiden Reihen? Vielleicht Otherland, weil es einfach die ungewöhnlichste Arbeit ist, die ich bis jetzt abgeliefert habe. Es ist das eine Ding, wo keiner sagen kann „Das ist wie…“ und so. Es ist was es ist.

Da Sie vorher über Serien und Filme gesprochen haben. Ist da etwas in Arbeit, das in absehbarer Zeit Realität werden könnte?

Nun, da ist Tailchaser’s Song, ein animierter Film. Auf Deutsch heißt das Buch Traumjäger und Goldpfote. Daraus wird ein Animationsfilm gemacht. Aber das wird noch einige Jahre dauern. Das Projekt hat sich mehrmals verändert und ist größer geworden. Ursprünglich war das nur als kleines, animiertes Video in einem kleinen Studio gedachtAlle anderen Sachen hatten wir. Interesse hatten wir, Angebote und alles was damit zusammenhängt. Im Moment ist da nichts in Arbeit. Ich würde mich sehr freuen wenn entweder die Osten Ard-Bücher oder die Otherland-Bücher umgesetzt würden. Ich denke, es müsste eine Fernsehserie werden. Warner Brothers, also die Firma, hatte eine Option auf Otherland. Sie haben sich ein Jahr Zeit genommen und sind dann zu mir zurückgekommen. Sie wollten die ganze Reihe in einem Film abhandeln. Und ich habe ihnen gesagt: „Ich glaube nicht, dass ihr das schafft. Ich glaube, das wird nicht funktionieren. Aber ihr habt mir das Geld dafür gezahlt, also das ist eure Chance euch das anzuschauen.“
Sie haben Angefangen an diesen Ideen zu arbeiten, aber sie mussten nicht nur Sachen aus der Handlung werfen, sondern auch neue Charaktere entwerfen, um zu übernehmen, weil diese so viele unterschiedliche Dinge tun. Ich denke, letztendlich haben sie realisiert, das kann kein Film werden. Für lange Zeit war das immer ein Problem. Aber jetzt haben wir mit Game of Thrones und anderen Serien bewiesen, dass Fantasy und Science-Fiction populär werden können. Und dass Fernsehserien die beste Form für lange Reihen sind. Ich denke es würde drei oder vier Jahre dauern, eine meiner Geschichten als Serie umzusetzen.

NAME VOM BILDHaben Sie eventuell vor, an irgendeinem Punkt eine andere Richtung einzuschlagen? Sie haben nun für jüngere Leser geschrieben, All-Age-Romane. Möchten Sie auch andere Genres ausprobieren?

Immer, das mache ich auch laufend. Und wir werden das wahrscheinlich auch in der Zukunft machen. Für meine klassischen Verleger werde ich weiter meine dicken Bücher schreiben. Aber für andere Sachen werden meine Frau und ich andere Sachen veröffentlichen und ein bisschen anders handhaben. Meine Verleger können da schwer in anderen Bahnen denken. Wenn ich jetzt plötzlich eine romantische Zeitreisestory oder einen Krimi schreibe, ist es sehr schwer für sie umzuschwenken und das einem anderen Publikum zu vermarkten. Das kann ich dann selbst veröffentlichen und vermarkten. Man muss auch gar nicht so viele Bücher drucken. Wir geben sie einfach an Leute, die wirklich an allem interessiert sind, was sich schreibe, und das lesen wollen. Wir werden da die neuen Veröffentlichungsmöglichkeiten des Buchmarkts nutzen. Aber ich werde auch weiter meine langen Bücher schreiben. Sowohl weil ich die Arbeit daran mag, als auch die Verleger.

Und Ihre Fans mögen die Bücher genauso.

Soweit ja, Daumen drücken. Das ist nämlich alles was wir für unseren Lebensunterhalt tun, schreiben! Meine Frau und ich, wir machen Bücher. Ich hoffe alle werden sie weiter kaufen, sonst werden wir auf der Straße schlafen müssen. In einer Schachtel. Das wäre sehr schade, besonders weil wir Kinder, Hunde, Katzen und eine Schlange haben. Wir würden eine sehr große Schachtel brauchen!

Vielen Dank. Es war mir eine Ehre, Sie kennenzulernen.

Es war mir eine Freude. Vielen Dank für das nette Gespräch.


(COMMENT: This is the German translation of my Interview with Tad Williams. If you look for the original in English language, this can be found HERE)


 

Tad Williams im Interview