Osten Ard
Das Herz der verlorenen Dinge
von Tad Williams
Rezension von Stefan Cernohuby
| 04. August 2017
Verlust ist etwas, das lähmen kann. Wenn man zu viel verliert, kann es sogar sein, dass nichts mehr übrig ist, wofür es sich zu leben lohnt. Wenn ein magisches Artefakt nun den Titel „Das Herz der verlorenen Dinge“ trägt, kann man davon ausgehen, dass es mit Verlust zu tun hat. Wenn es sich zusätzlich auch noch um einen Roman handelt, der von Tad Williams stammt und mit dem der Autor nach Jahrzehnten wieder in eine legendäre Welt zurückkehrt, sind die Erwartungen der Leserschaft dementsprechend hoch. Wir waren ebenso gespannt.
Man mag annehmen, dass der Fall des Sturmkönigs Ineluki den Widerstand der Nornen zum Erliegen gebracht hat. Das ist aber nicht der Fall. Genauso wenig bricht der komaähnliche Zustand der Königin selbst den Willen ihres Volkes. Herzog Isgrimnur, der die Kontrolle über das Heer der Menschen hat, beschließt die Gunst der Stunde zu nutzen und ein für alle Mal Schluss mit dem Widerstand der verhassten Weißgesichter zu machen. Seine Armee treibt die flüchtenden Nornen, deren Zahlen immer geringer werden, in mehreren Etappen vor sich her. Sie überleben Kämpfe, Fallen, Hinterhalte und belagern Festungen. Doch tun sie das richtige, wenn sie eine ganze Rasse auslöschen? Aus Sicht der beiden einfachen Soldaten Porto und Endri stellt sich diese Frage nicht. Sie tun nur, was ihnen geheißen wurde – und sind sich stets dessen bewusst, dass sie möglicherweise nicht beide zurückkehren werden. Auch die Nornen selbst kommen zu Wort, allen voran Generalin Sono´ku und Baumeister Viyeki. Werden sie noch eine Zukunft haben? Und wem wird das Herz der verlorenen Dinge letztendlich einen Dienst erweisen und seine Fähigkeiten enthüllen?
Der erste Band der neuen Reihe, die direkt nach „Die Saga der großen Schwerter“ angesiedelt ist, obwohl in Realität über 20 Jahre vergangen sind, ist ziemlich chaotisch gestaltet. Es gibt kaum eine Minute, in welcher der Leser oder die Charaktere verschnaufen können. Es geht von einem Hinterhalt in die nächste Belagerung, zu einer Schlacht und dann zu einem Hinterhalt. Das passiert mehrere Male, was mit Sicherheit dem Charakter des beschriebenen Rückzugsgefechts entspricht. Allerdings ist das etwas viel des Guten und kommt der Entwicklung der Charaktere nicht unbedingt entgegen. Gut ist definitiv, dass sich die Handlung nicht auf eine Seite beschränkt – also Menschen oder Nornen – sondern eben beide Seiten beleuchtet. Mit dem Verlauf der Geschichte wird auch klar, dass das Werk eine Art Bindeglied darstellen muss – zwischen der Handlung, die in den ersten vier Romanen stattgefunden hat und einer späteren Geschichte. Es mag auch sein, dass nun auch in der Welt der Reihe etwas Zeit vergehen wird, bevor die Handlung wieder an Fahrt aufnimmt. Das wäre zu wünschen, denn die Welt hat bestimmt noch um einiges mehr zu bieten, als eine spannende Geschichte über fliehende Nornen sowie blut- und rachedürstende Menschen. Zum Glück wird es nicht mehr allzu lange dauern, bis die bereits angekündigte Fortsetzung „Die Hexenholzkrone“ erscheint.
„Das Herz der verlorenen Dinge“ fängt den Leser dort ein, wo er sich in all der Zeit verloren hat. Denn Tad Williams hat über 20 Jahre ins Land ziehen lassen, bis er sich seiner phantastischen Welt wieder gewidmet hat. Der vorliegende Roman stellt ein Bindeglied zwischen der Handlung der ersten vier Romane und zukünftigen Geschichten dar. Auch wenn er mitunter etwas hektisch wirkt und sich die Charaktere nicht allesamt entwickeln können, ist er doch ein unverzichtbarer Teil für alle Fans der Reihe.
Details
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Originaltitel:
The Heart of What was Lost
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