Ein europäisches Karussell

Blaubarts Kinder

von Renata Serelyte
Rezension von Janett Cernohuby | 23. Mai 2014

Blaubarts Kinder

Der französische Schriftsteller Charles Perrault schuf mit seiner Figur des Blaubart eine Vorlage, die in zahlreiche andere literarische Werke übernommen wurde. Bereits die Brüder Grimm bedienten sich des frauenmordenden Mannes und auch heute ist die Geschichte so düster und faszinierend, dass dieses Motiv weiterhin aufgegriffen wird. So trifft man das Motiv beispielsweise im "europäischen Karussell" an. Die litauische Autorin Renata Serelyte erzählt in "Blaubarts Kinder" ein erschütterndes Familiendrama, dem eine Frauenleiche vorangeht.

Wie verzweifelt muss man sein, um sich das Leben zu nehmen? Wie ausweglos, dass man dies auch noch im Beisein der Kinder tut? Die Ertrinkende, die zu Beginn zu Wort kommt, gewährt einen kurzen Einblick in ihr Leben. Ein Leben, das aus Gewalt bestand. Gewalt ihres litauischen Mannes, der außer der Flasche sonst niemandem zugetan war. Sie verlässt ihn, folgt ihrem Geliebten nach Russland - und trifft auch hier erneut auf Gewalt gegen sie. Zudem bleibt sie eine Fremde, ganz gleich wie sehr sie sich für die Partei engagiert und anderweitig versucht zu integrieren.
Nun lässt sie ihre drei Kinder zurück. Die Großen, die zu ihrem litauischen Vater zurückgeschickt werden und den Kleinen, gerade mal ein Jahr alt, der in ein Kinderheim abgeschoben wird.
Und so wachsen der Sohn und die Tochter im kommunistischen Litauen heran, wo die Schule versucht, aus ihnen gute Sowjets zu formen. So ganz gelingt es nicht. Die Großmutter erzählt von einer Jugend, in der es noch keine Kommunisten gab. Der Sohn, der hilflos der ertrinkenden Mutter zusehen muss, findet keinen Halt, keinen Platz im Leben. Anders als die Tochter. Sie flieht vor der väterlichen Gewalt, beginnt ein Studium in Vilnius und arbeitet später als Schriftstellerin.
Nach Jahren der Trennung begibt sich das dritte Kind, der ins Waisenhaus abgeschobene Sohn, auf die Suche nach seinen Halbgeschwistern und reißt dabei alte Wunden wieder auf.

"Blaubarts Kinder" ist die düstere, bedrückende und erschütternde Geschichte einer litauischen Familie. In ihrem Vordergrund stehen Gewalt und Alkoholmissbrauch, ebenso Armut und Hoffnungslosigkeit. Die vier namenlosen Personen, die im Roman zu Wort kommen, gewähren uns einen Blick in ihr Leben und ihr Leid. Es ist eine vielschichtige Erzählung in der wir auf unterschiedliche Mentalitäten, Gesinnungen und Milieus treffen. Zwischen all dem gibt es nur wenig Platz für Trost, für Trauer und für Liebe. Die Gewalt, hauptsächlich von Männern gegen Frauen aber auch durch Funktionäre und Lehrer, dominiert und lässt keine Chance vor ihr zu entkommen.
So wie Blaubart einst seinen Frauen unter Strafe verbot, einen bestimmten Raum zu betreten, so ist es auch seinen Kindern verboten, sich entgegen der Regeln zu verhalten. Sie haben den Mund zu halten und zu gehorchen, ansonsten folgt Strafe in Form von gewaltsamen Konsequenzen.
Schriftstellerisch ist der Roman sehr anspruchsvoll. Renata Serelyte erzählt kein unterhaltsames Familiendrama, sondern sie verlangt von ihren Leser ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und Konzentration. Dazu tragen bereits die vier Erzählstimmen einen großen Beitrag bei. Immer wieder wechseln sie sich ab, erst berichtet der eine, dann der andere. Zudem sind die Kapitel mit Nummern versehen, die keine Hilfe sondern eher ein weiteres Erschwernis sind. Das erleichtert das Lesen nicht unbedingt und hinterlässt beim Leser ein Gefühl von Hektik, Unruhe und Chaos. Zahlreiche Fußnoten, in denen der Übersetzer Dinge oder Zusammenhänge erklärt, sollen zum besseren Verständnis beitragen, fordern aber oftmals ebenfalls volle Aufmerksamkeit.
Gleichzeitig zeichnen diese ständigen Szenenwechsel jedoch das Bild einer Familie, eines Schicksals, welches geprägt durch Gesellschaft und politische Wandel ist.

Zusammengefasst ist "Blaubarts Kinder" ein bewegender und bedrückender Roman, der das Schicksal einer Familie, aber auch von Blaubarts Kindern zeichnet. Es gibt Regeln, die nicht gebrochen werden dürfen, und wenn doch, folgen schwerwiegende Konsequenzen. Davon erzählt Renata Serelyte mit starken, teilweise drastischen Worten und zeigt ihren Lesern, was Blaubarts Kinder aus ihrem Erbe machen.

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Humor:
    Keine Bewertung
  • Gewalt:
  • Gefühl:
    Keine Bewertung
  • Erotik:
    Keine Bewertung

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