Ein europäisches Karussell

Die Mütter

von Teodora Dimova
Rezension von Claudia Cernohuby | 08. Juni 2014

Die Mütter

Der Zerfall der ehemaligen Sowjetunion und das Ende des kommunistischen Regimes hatten nicht nur positive Effekte. Hohe Inflation, Arbeitslosigkeit und Armut trafen viele Einwohner Osteuropas. Ganz besonders schlimm waren die Auswirkungen, wie so oft, auf Kinder. Das Schicksal mehrerer, kurz nach der Wende geborener Kinder in Sofia, bildet das Zentrum des Romans "Die Mütter" von Teodora Dimova.

Danas Mutter arbeitet in Zypern, um Ihrer Familie in Sofia das Leben zu erleichtern. Ständig schickt sie Geld an ihren arbeitslosen Mann, der es, statt seiner Tochter etwas zu essen zu kaufen, versäuft und Partys feiert.
Aleksandar hat mehr Glück was seinen Vater betrifft. Als dieser aber immer mehr in seinem Hobby Fußball aufgeht, verlässt seine Frau die Familie, die sie eigentlich niemals haben wollte.
Kalina pflegt ihre Großmutter nach einem Schlaganfall, während ihre Mutter vor dem Fernseher sitzt und sich selbst bedauert.
Auch die Kinder von reichen Eltern sind oft unglücklich - oder sogar unerwünscht. Denn Nikola ist eigentlich nur ein Klotz am Bein seiner erfolgreichen Modelmutter.
Andrejas Mutter wiederum ist depressiv und trinkt.
Die Eltern von Dejan und Bojana einigen sich im Sinne einer Gütertrennung auch, das Zwillingspaar zu trennen und Bojana soll mit ihrer Mutter und deren neuem Mann nach Kanada auswandern. Doch die Kinder ertragen den Trennungsschmerz nicht, da jeder ein Teil des anderen ist. All diese Kinder mit ihren traurigen Schicksalen verbindet ihre Liebe zur Klassenlehrerin Javora, die sie wie eine Heilige verehren. Sie besuchen alle die gleiche Klasse eines Gymnasiums und die außergewöhnliche Lehrerin bringt sie dazu, anders zu handeln als alle anderen Schüler der Schule. Die Kinder in dieser Klasse lernen, sich gegenseitig zu respektieren und zu helfen, sie sind fleißig, aufmerksam und freundlich, so ganz anders als andere Jugendliche. Wenn Dana einmal wieder nichts zu essen hat, weil ihr Vater schon das gesamte, von seiner Frau geschickte Geld versoffen hat, so bringt Nikola, dessen Eltern ihm statt Aufmerksamkeit nur Geld zukommen lassen, seiner Schulkameradin Mittagessen mit. Die Lehrerin hilft den Kindern, ihr trauriges Leben zu meistern. Doch trotz allen positiven Vorzeichen endet all die Liebe, Aufmerksamkeit und Unterstützung, die Javora den Kindern schenkt, schlussendlich in einem Mord.

Dimova schildert schonungslos den Zerfall der traditionellen Familie und das Versagen von Eltern angesichts verschiedener Probleme Wurden Ehepaare vor der Wende noch durch Tradition oder gesellschaftliche Normen gezwungen, ihr Leben gemeinsam zu verbringen, so zerbricht dieser altmodische Zwang nach der Wende langsam. Scheidungen und Trennungen führen aber hier oft dazu, dass die Kinder "vergessen" werden. Armut, Hilflosigkeit und Egoismus herrschen in vielen Familien vor. Die gesellschaftlichen Werte verändern sich, und manchmal bleiben eben einige auf der Strecke.
Der Inhalt der Geschichte ist erschreckend, auch weil er so furchtbar real wirkt. Sie irritiert und verstört, lässt aber auch, gefiltert, einen Blick auf unsere eigene westliche Gesellschaft zu. Denn genauer betrachtet - ist der Unterschied tatsächlich so groß?
Die Erzählweise ist interessant - die einzelnen Geschichten erfährt man aus Polizeiverhören, jede Geschichte ist in einem eigenen Kapitel verpackt. Etwas gewöhnungsbedürftig sind die unglaublich langen Sätze, im wahrsten Sinne des Wortes "ohne Punkt und ohne Komma". Eventuell sind diese aus der Übersetzung entstanden und irritieren daher deutschsprachige Leser zu Beginn. Teodora Dimova, die besonders als Autorin von Theaterstücken erfolgreich ist, gewann mit "Die Mütter" den osteuropäischen Kulturpreis der österreichischen Bank Austria im Jahr 2006.

Abgesehen von den Schwierigkeiten beim Lesen von langen, satzzeichenlosen Sätzen ist das Buch vorbehaltlos zu empfehlen. Es ist wirklich hervorragend und regt sehr zum Nachdenken an. Daher wird es auch vor allem als Lesestoff für Menschen geeignet sein, die sich gerne unbequemen Wahrheiten stellen und sich auch mit den Abgründen der Gesellschaft beschäftigen.

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Humor:
    Keine Bewertung
  • Gewalt:
  • Gefühl:
  • Erotik:

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