Das Mädchen im roten Mantel

von Iris von Finckenstein, Roma Ligocka
Rezension von Janett Cernohuby | 01. Februar 2009

Das Mädchen im roten Mantel

"Das Mädchen im roten Mantel" ist eine Figur, die all jenen bekannt ist, die Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste" gesehen haben. In diesem läuft ein kleines Mädchen durch das Krakauer Ghetto, steigt über tote Menschen und Trümmerhaufen hinweg, fast so, als würde sie das Grauen um sich herum gar nicht wahrnehmen. Später taucht dieses Mädchen noch einmal auf. Erschossen, in einem Berg toter Menschen. Ihr roter Mantel, die einzige Farbnuance in einem Schwarz-Weiß-Film, hinterlässt einen tief bewegenden Eindruck beim Betrachter.
Dieses Mädchen gab es wirklich. Allerdings starb sie nicht, sondern überlebte das Grauen der NS-Zeit. Nach Jahren des Schweigens fand sie den Mut und die Kraft, über das Erlebte zu schreiben.

Liebling ist gerade mal ein Jahr alt, als die Deutschen Besatzer beginnen, die Juden ins Ghetto zu treiben, ein ehemaliges, heruntergekommenes Arbeiterviertel. Es vergeht kein Tag und keine Nacht ohne brutale Razzien, willkürliche Grausamkeiten und Verschleppung ganzer Familien. Eines Tages fassen Romas Eltern den Entschluss, aus dem Ghetto zu fliehen. Von ihren letzten Ersparnissen kauft der Vater arische Kennkarten, die seiner Frau und seiner Tochter zur Flucht verhelfen sollen. Ab sofort heißen sie nicht mehr Liebling, sondern Ligocka. Mit einem Koffer in der Hand irren Roma und ihre Mutter durch Krakau auf der verzweifelten Suche nach einer Unterkunft und Versteckmöglichkeit. Sie kommen bei einem alten Bekannten unter, doch auch hier ist die Gefahr noch lange nicht gebannt. Ständig leben sie in Angst, entdeckt zu werden. Irgendwann erreicht sie die Nachricht, dass der Krieg vorbei ist. Langsam erholt sich die Stadt und die Kommunisten übernehmen die Führung in Polen. Roma geht zur Schule, macht ihr Abitur, studiert schließlich Kunst, kann das Erlebte aber nie verarbeiten und vergessen. Während des Studiums lernt sie ihren ersten Mann kennen, wird aber schon nach zwei Jahren geschieden. Roma verfasst ihr erstes Theaterstück, das schließlich auch inszeniert wird. Dabei verliebt sie sich in den Regisseur Jan Biczycki und wenige Jahre später heiraten die beiden. Auf ihrer Hochzeitsreise, die sie nach Österreich führt, raten Freunde und Bekannte den beiden nicht nach Polen zurückzukehren. Sie bleiben, und der Westen eröffnet ihnen ganz neue Möglichkeiten. Jahrelang zieht das Ehepaar durch Europa, inszeniert ein Theaterstück nach dem nächsten. Als schließlich Romas Sohn geboren wird, lassen sie sich in Ottobrunn bei München nieder. Doch hier kann sich Roma nicht einleben, fühlt sich eingeengt und einsam. Es kommt zum Bruch ihrer Ehe und für Roma beginnt erneut eine rastlose und harte Zeit...

"Das Mädchen im roten Mantel", ein ergreifendes und erschütterndes Buch, das zum Nachdenken anregt. Nun könnte man sagen, es ist nur ein weiteres Buch über das Naziregime und das Krakauer Ghetto. Dem ist aber nicht so. Dieses Buch ist viel mehr als nur die Wiedergabe der Geschehnisse ab 1939. Es ist der Bericht eines Kindes, wie es den Terror erfuhr und wie es mit dem Erlebten leben muss. Jahrelang gibt Roma sich die Schuld für all das Leid und Elend. Weil sie nicht brav war, nicht gehört hat, ständig im Weg stand, musste ihre Familie all die Qualen ertragen. Ängste bestimmen fortan ihr Leben. Sie kann kein Vertrauen fassen, zu niemandem. Immer mehr baut sie eine Schutzmauer um sich auf, verkriecht sich in sich selbst, versinkt in Depressionen. Ihr Leben als Erwachsene ist stark mit den Erlebnissen ihrer Kindheit verbunden.
Geschrieben wurde das Buch in der Ich-Form. Durch diesen Schreibstil erhält der Leser einen tiefen Einblick in die Gefühle und die Denkweise der Hauptperson. Auch bekommt der Leser das Gefühl, das Geschehene selbst mitzuerleben und erfährt so die Härte und Grausamkeit dieser Zeit viel deutlicher und bewusster. Schon nach wenigen Seiten ist man gefesselt, wird von der Handlung mitgerissen.

Zusammengefasst ist "Das Mädchen im roten Mantel" ein erschütternder Roman aus einer grausamen Zeit. Er zeigt nicht nur, unter welchen Bedingungen die Menschen leben mussten und wie sie um ihr tägliches Überleben gekämpft haben, sondern vielmehr vermittelt er, wie diese Zeit in der Erinnerung der Kinder geblieben ist; mit welchen Ängsten und Gefühlen sie leben mussten und müssen. Er zeigt aber auch eine bemerkenswerte Frau, die es trotz allem geschafft hat, ihr Leben zu meistern.

Details

Bewertung

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  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Humor:
    Keine Bewertung
  • Gewalt:
  • Gefühl:
  • Erotik:
    Keine Bewertung