Wenn es um Kindesentführung geht, kennen die meisten Leute keinen Spaß. Zu negativ ist das Thema belastet, zu viele grausige Ereignisse haben sich in den letzten Jahren abgespielt. Dennoch kann das Stehlen von Kindern einen durchaus phantastischen Aspekt haben, wie man auch Überbleibseln aus historischen Überlieferungen entnehmen kann. Im Pan Verlag ist allerdings ein Werk erschienen, das darüber weit hinausgeht. Es trägt den Titel "Der Kinderdieb" und gewisse Parallelen zu einer anderen Erzählung werden wohl so manchem Leser auffallen.
Nick hat es alles andere als leicht. Er wohnt im Haus seiner Großmutter, das von seiner Mutter zum Teil an jugendliche Drogenhändler vermietet wurde. Diese misshandeln und schikanieren ihn, wo es nur geht. Er hat jedoch endgültig genug davon und entwendet den gesamten Vorrat an Drogen. Als die Gang dahinter kommt, will sie ihn töten. Als kein einziger Ausweg mehr möglich scheint, taucht plötzlich ein Junge auf, der die Verbrecher zusammenschlägt, verstümmelt und Nick so das Leben rettet. Peter, wie sich der seltsame Junge vorstellt, schlägt Nick vor, dass er ihm an einen Ort folgen soll, an es keine Probleme mehr mit derartigen Verbrechern geben soll. Schnell entschlossen geht Nick auf diesen Vorschlag ein, den er aber für den Rest seines Lebens bereuen soll. Denn Peter, der niemals erwachsen werden kann, nimmt ihn mit nach Avalon, wo ein erbitterter Krieg tobt. Mutierte erwachsene "Fleischfresser" kämpfen gegen Elfen und Menschen. Peter führt die "Teufel" an, die aus Kindern bestehen, die er im Laufe der Jahrhunderte aus der Realität entführt hat. Nick ist hin- und hergerissen. Soll er seinen Entführer bei seinem Kampf um das Leben der Herrin vom See unterstützen oder doch zu fliehen versuchen? Beide Möglichkeiten sind lebensgefährlich.
Peter, der niemals erwachsen wird, in einem magischen Reich lebt und gegen böse Erwachsene kämpft. Das alles hat es schon einmal gegeben, natürlich in "Peter Pan". Da das neue Buch im "Pan"-Verlag erscheint, macht die Sache nur noch klarer. Doch bei "Der Kinderdieb" handelt es sich keineswegs um eine lauwarme Neuauflage eines Klassikers. Im Gegenteil, der Autor Gerald Brom erzählt eine Geschichte, welche in die Abgründe zwischen den unbeschwerten Bildern ausnutzt und vertieft. Denn wie viel Spaß Peter am töten und verstümmeln hat, seine Gnadenlosigkeit gegenüber jenen, die sich seine Freunde nennen und nicht zuletzt die Rücksichtslosigkeit, mit der er seine Ziele verfolgt, sind alles andere als Elemente eines Jugendromans. Folter, herausgerissene Innereien und ein fragwürdiger Hintergrund für ebenso fragwürdige Taten machen das Buch erst ab 16 Jahren empfehlenswert. Doch zur Handlung. Diese beginnt spannend, brutal und mitreißend. Aber gegen Mitte des Buchs wird die Angelegenheit verworren. Die Ereignisse überschlagen sich und der Autor scheint sich nicht mehr sicher gewesen zu sein, wer denn nun eigentlich der Protagonist sein soll. Manche Bösewichte sind plötzlich gar nicht mehr so böse und die Herrin vom See ist wohl auch alles andere als eine Lichtgestalt unter den Herrschern. Und um mit dem Ende restlos zufrieden zu sein, benötigt der Leser wohl auch viel Fantasie. Insgesamt ist der Roman trotz guter Ansätze und einer interessanten, brutalen und gnadenlosen Schilderung von Ereignissen dennoch nur mittelprächtig gelungen. Wer jedoch den Disney-Pan immer schon schrecklich kitschig gefunden hat, kann sich hier von diesem Kitsch mehr als reinwaschen - mit Blut.
"Der Kinderdieb" von (Gerald) Brom ist ein Roman, der die dunklen Seiten des Klassikers Peter Pan beleuchtet. In einem alternativen Setting und mit anderen Charakteren wird ein Abenteuer geschildert, das düster und brutal ist. Leider wird die Handlung in der zweiten Hälfte des Buchs zunehmend verworren, weswegen das Werk leider nur eingeschränkt empfohlen werden kann - und am besten erst für Leser ab 16 Jahren.
Details
-
Sprache:Deutsch
-
Erschienen:02/2010
-
Umfang:655 Seiten
-
Typ:Hardcover
-
ASIN:3426283298
-
ISBN 13:9783426283295
-
Preis (D):16,95 €