Betrachtet man die heutige Gesellschaft, Firmenpolitik sowie die Art und Weise, wie unterschiedliche Gruppierungen von Menschen miteinander umgehen, bräuchte man gelegentlich schon fast einen Dolmetscher, der alle versteckten Nuancen zutage bringt, ausspricht, was eigentlich Sache ist und hinter Begriffen aus dem „Bullshit-Bingo“ steckt. Susanne Strnadl hat diese Idee in ihrem Roman „Die Bullshit-Dolmetscherin“ aufgegriffen.
In einem Wien, nah an unserer Realität, ist Amanda eine der gefragtesten Dolmetscherinnen. Genauer gesagt ist sie „Bullshit-Dolmetscherin“, eine Person, die unter anderen in Firmen zum Einsatz kommt, wenn in Verhandlungen ganz tief in die Begriffskiste gegriffen wird. Alexandra Mander, wie Amandas richtiger Name ist, hat einen seltsamen Lebenswandel. Sie trifft sich hin und wieder mit ihrem Exmann, inklusive allem was dazugehört, gibt Kurse für Einsteiger in ihr Business und hat eine Gelegenheitsbeziehung mit ihrem Kollegen Wolf. Als dieser ihr einen Fall zukommen lässt, der sich um die Frau des Erzbischofs von Wien dreht, hat sie keine Ahnung, was sie da erwartet. Denn obwohl die Kirche das Zölibat mittlerweile abgeschafft hat und den Würdenträgern so irdisches nicht mehr fremd sein muss, sind Seitensprünge ein Problem, genau wie in jeder anderen Ehe. Besonders wenn es um gleichgeschlechtliche Beziehungen geht. Doch neben ihrer Tätigkeit als Beraterin, für die sie immer wieder den Philosophen Peter Ladurner zu Rate zieht, ändert sich auch vieles in ihrem Privatleben – das meiste wird von außen induziert. Und das ist etwas, das den Panzer der stets beherrschten Amanda langsam aufzubrechen beginnt...
Das als „Frauenroman“ bezeichnete vorliegende Werk wird zwar definitiv aus der Sicht einer Frau erzählt, lässt sich zum Glück aber auch von einem Mann ganz gut lesen. Denn die Kernthemen sind ja beinahe geschlechtsneutral. Gerade die Tätigkeit eines „Bullshit-Dolmetschers“ könnte man heutzutage tatsächlich wünschen. Es ist fast ein wenig schade, dass die eigentliche Tätigkeit nicht noch etwas näher ausgeführt wird. Denn neben der Empathie der Protagonistin, für die sie eigentlich angeheuert wird, sind die Stellen der Ausübung ihres Berufs und als Vortragende in einem Lehrgang im Buch sehr interessant. Allerdings wird man im beruflichen Alltag schon so oft mit jenem inhaltlich leeren Geschwafel konfrontiert, dass man sich den Rest leider nur zu gut vorstellen kann. Auch wenn das Werk nicht im Hinblick auf alle Charaktere überzeugen kann, liest es sich sehr unterhaltsam und spannend. Ebenso die alternative Wiener Gesellschaft ist amüsant, mit einem verheirateten Erzbischof, seiner Ehefrau und deren Geliebter. Die Massenmedien der Wiener, allen voran die Gratis-Zeitschriften in der U-Bahn, werden so eingesetzt, wie sie es auch heute werden: Volksbelustigung und Aufhetzung gegen Individuen und Gruppen. Insofern ist das alternative Bild trotz der dichterischen Freiheiten sehr nah an der Realität. Man muss daher keine Angst vor einem zu phantastischen Werk haben. Da der Unterhaltungsfaktor des Romans sehr hoch ist, können wir selbigen Lesern mit Mut zu Experimenten bedenkenlos empfehlen.
„Die Bullshit-Dolmetscherin“ ist nicht nur ein sehr eingängiger Romantitel sondern auch ein gleichnamiges Werk der österreichischen Autorin Susanne Strnadl. Auch wenn das Werk einige Abweichungen zur heutigen Realität vorweist sind diese doch vernachlässigbar, da die beiden Hauptpunkte sehr wünschenswert sind: die titelgebenden Dolmetscher und eine Kirche ohne Zölibat. Selbst wenn das Werk offenbar in erster Linie für Frauen gedacht ist, kann man sich auch als Mann sehr gut unterhalten. Die spannende und amüsante Handlung lässt den Leser über einige weniger gelungene Nebencharaktere hinwegsehen und das Buch verschlingen. Daher können wir mit gutem Gewissen eine Kaufempfehlung aussprechen.
Details
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Erschienen:04/2015
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Umfang:248 Seiten
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Typ:Hardcover
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ISBN 13:9783902924391
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Preis (D):19,95 €