Die Schattensammlerin: Dichter und Dämonen

von Tom Orgel, Stephan Orgel
Rezension von Stefan Cernohuby | 30. Juli 2022

Die Schattensammlerin: Dichter und Dämonen

Lesen kann sich gleichermaßen als erfreuliche wie auch unerfreuliche Beschäftigung erweisen. Problematisch auch, wenn einem ein Buch allzu gut gefällt. Dann möchten Lesende es zur Hand nehmen und in literarischer Anlehnung sagen: „Verweile doch, du bist so schön …“, wiewohl es letztendlich doch zu Ende geht. Der neue Roman von T. S. Orgel geht sogar noch einen Schritt weiter und lässt Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe höchstselbst auftreten. Das Werk, das man durchaus als ersten Teil einer Reihe interpretieren kann, trägt den Titel „Die Schattensammlerin – Dichter und Dämonen“.

Millicent „Millie“ Wohl hat nicht den besten Beruf, doch sie ist zufrieden als Assistentin im Senckenberg-Museum im Frankfurt zu arbeiten. Und doch wäre vieles besser, wenn Kurator Hollweg nicht den großen Mann von Welt darstellen würde, anstatt seiner Aufgabe nachzukommen. Denn das bringt Millie in die Bredouille. Als sie den im Beinhaus kaltgestellten Champagner holen soll, überrascht sie einen Dieb, der ihren Vorgesetzten niederschlägt und sich dann mit einem Exponat aus dem Staub macht. Und da wird es mysteriös, denn der der Dieb hat den Schädel von Friedrich Schiller entwendet. Und auch wenn das die Polizei nur eher mittelmäßig interessiert, ruft das eine Reihe anderer schillernder Persönlichkeiten auf den Plan, allen voran Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe und seine Bediensteten Heinrich und Abaris. Während Goethe einen eher pragmatischen und melancholischen Ansatz verfolgt, scheint Abaris an das Übernatürliche zu glauben. Etwas, was Millie sehr widerstrebt. Die junge selbstbewusste, gebildete Dame mit dem nahezu perfekten Gedächtnis will jedoch von den Geschehnissen nicht ausgeschlossen werden. Denn sie ist kurz davor, ihre Anstellung zu verlieren, weil man ihr Mitschuld an dem Diebstahl zur Last legt. Der Pudels Kern ist jedoch ein ganz anderer – man könnte beinahe sagen, es gebe mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich Millies Schulweisheit es träumen lässt, wäre das nicht einem ganz anderen Dichter zuzuschreiben.

Erstmalig begeben sich die Gebrüder Orgel nicht in reine Fantasywelten oder eine ferne Zukunft. Diesmal wird es historisch. Schauplatz sind Frankfurt und Umland im Jahr 1830. Dabei wird weder mit historischen Anspielungen und Referenzen gespart, noch mit etwas anachronistischen Kommentaren, die eher der modernen Popkultur zuzuordnen sind. Das Ruder der Handlung übernimmt eine Protagonistin, die überraschend vielseitig, furchtlos und resistent gegen jedwede Verlockungen ist. Das alles benötigt sie allerdings, denn es bleibt nicht bei einem vergleichsweise harmlosen Schädeldiebstahl. Was sie miterleben muss, schlägt schon in eine ganz andere Kerbe. Und obwohl eigentlich der erwähnte Dichter und Geheimrat im Hintergrund an den Fäden sitzen sollte, geschehen doch Dinge, über die er nicht einmal ansatzweise im Bilde ist. Für Millie wirft das grundsätzliche Fragen hinsichtlich der Herkunft und Profession von Goethes Verbündeten auf, die letztendlich nur ganz andere Talente offenbaren.
Als erster Band einer neuen Reihe nehmen sich die beiden Autoren sehr viel Zeit, die handelnden Charaktere vorzustellen, obwohl sie gleichzeitig ein ordentliches Tempo vorlegen und auch Kutschenfahrten bei Schnee und Eis, beziehungsweise bei Nacht keine Seltenheit sind. Man darf gespannt auf die weiteren Bände sein.

„Die Schattensammlerin – Dichter und Dämonen“ von T. S. Orgel lässt bereits vom Titel her einige Schlüsse auf die Handlung zu. Highlight dieses phantastischen historischen Romans ist sicherlich der Auftritt von Johann Wolfgang von Goethe, der sich mit seinen Bediensteten und der Protagonistin zahlreiche Wortwechsel liefert, die den Lesenden mitunter an „Faust“ erinnern. Zufällig?

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