Geschichte ist eine komplizierte Angelegenheit. Denn auch wenn es sich manchmal so anhört oder liest, sind es nicht nur große Städte und bekannte Persönlichkeiten, die von Relevanz waren. Jeder Ort und jede Familie, so klein und unbedeutend sie auch gewesen sein mögen, haben eine eigene Vergangenheit. Marie Buchinger führt den Leser in „Ein Tal in Licht und Schatten“ zurück an den Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, in ein kleines Tal in Südtirol. Dort erzählt sie Ereignisse aus einer ganz anderen Perspektive.
Von der Welt erfährt man im Gadertal, mitten in den Dolomiten, wenig. Vier Kinder gibt es in der Familie Kastlunger, sie alle haben ihre Eigenarten. Als jedoch eine halbitalienische Familie ins Dorf kommt, die sogar ein Auto besitzt, sind alle gleichermaßen überrascht. Zuerst scheint es nur bei einem Besuch zu bleiben, doch dann lässt sich Familie Costa tatsächlich nieder, um Weinbau zu betreiben. Etwas, was in der hohen Lage unter keinem guten Stern steht. Doch zumindest Mischi, angehender Bergführer, und Elisa freunden sich mit dem jungen Vito an, der vom Rest der Dorfbevölkerung Veit genannt wird. Dessen Schwester Chiara bleibt unnahbar und macht keinen Hehl daraus, dass ihr die Berge und die dort lebende Bevölkerung zuwider ist. Nach einer Reihe persönliche Schicksalsschläge geschieht etwas, das keiner vorausgesehen hat. Nachdem der österreichische Thronfolger in Serbien erschossen ist, bricht ein Krieg an vielen Fronten aus. Die jungen Burschen im Dorf melden sich voller Begeisterung als Freiwillige – doch weder geht es gegen die Serben, noch bleiben alle ungeschoren. Als dann auch noch Italien auf der Gegenseite in den Krieg eintritt, spitzt sich die Lage darüber hinaus weiter zu – denn insbesondere Vito Costa weiß nicht, wem er nun Gehorsam schuldet. Alles ist verworren, auch in Herzensdingen…
Nein, es gibt keine großen Heldentaten im Roman. Es gibt auch keine bedeutenden Schlachten um strategisch wichtige Punkte in den Dolomiten. Nicht einmal der Krieg wird von den vorkommenden Charakteren entschieden oder beendet. Es handelt sich einfach um ganz normale Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und verschiedener Herkunft, die sich durch die Wirren der Weltpolitik mitten in einem Brennpunkt eines Konflikts befinden, den sie nicht einmal im Ansatz nachvollziehen können. Jeder versucht nur zu überleben, für die eigene Familie da zu sein und im Idealfall sein eigenes Glück zu finden. Viele finden jedoch den Tod und auch die Überlebenden bleiben längst nicht alle ungeschoren.
Die Geschichte lebt davon, aus Sicht der verschiedenen Charaktere zu erzählen. Im Laufe der Handlung werden es immer mehr. Vito Costa und Elisa Kastlunger werden zu zwei Polen, die sich gegenseitig anziehen, aber dennoch voneinander getrennt. Auch einige Charaktere mit Schmäh gibt es, darunter einen Wiener Offizier namens Berger, der für den einen oder anderen Lacher sorgt. Dennoch ist der Grundtenor weder leicht noch unbeschwert. Das Leben in den Bergen ist hart und der Krieg macht es keineswegs leichter. Ohne historisch zu sehr ins Detail zu gehen und den Versuch zu machen, das Werk völlig authentisch zu gestalten, schafft es der Roman erfolgreich darzulegen, was Krieg für eine Bevölkerung in einem abgelegenen Dorf bedeutet und zeichnet dabei persönliche Schicksale überzeugend.
„Ein Tal in Licht und Schatten“ ist ein Roman von Diana Menschig, der unter dem offenen Pseudonym Marie Buchinger erschienen ist. Das Beinahe-Idyll eines abgelegenen Bergdorfs wird durch den ausbrechenden ersten Weltkrieg zerstört, wobei hier das Hauptaugenmerk auf Personen mit unterschiedlicher Herkunft und verschiedenen Loyalitäten liegt. Die Charakterdarstellung gelingt gut, benötigt aber viel Zeit und ist alles andere als rasant. Wer auf actionreiche historische Romane mit zünftigen Schlachten hofft, sollte hier besser nach einem anderen Buch greifen. Wem persönliche Schicksale mehr bedeuten, der hat hiermit auch mehr Freude.
Details
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Erschienen:08/2016
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Umfang:651 Seiten
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Typ:Taschenbuch
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ISBN 13:9783426517550
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Preis (D):14,99 €