Die Eifersüchtigen

von Sándor Márai
Rezension von Elisabeth Binder | 23. Dezember 2015

Die Eifersüchtigen

Im Jahr 1986, also knapp 50 Jahre nach der Veröffentlichung des Romans "Die Eifersüchtigen", vertieft sich Sándor Márai in dieses und noch drei weitere seiner früheren Werke. Sein kanadischer Verleger möchte die vier Bücher, die Marai zwischen 1930 und 1948 über den Niedergang einer großbürgerlichen Familie geschrieben hat, neu auflegen. Er schreibt dazu in seinem Tagebuch: „Mich überrascht, wie sehr alles auf die heutige Situation passt, was ich damals über die Stadt, das Werk, die Fremden, die menschgemäße Zivilisation geschrieben habe, die vernichtet wird und dem Konsumnihil Platz macht.“ (Sándor Márai, Tagebücher 1984 - 1989, 2. November 1986).

Die Eifersüchtigen - das sind die fünf Geschwister und Halbgeschwister Garren, die sich, teilweise von weit her kommend, in ihrem Elternhaus in einer zwischen Bergen und Meer gelegenen Provinzstadt einfinden, um darauf zu warten, dass der schwer kranke Vater stirbt. Die Nachricht von der unheilbaren Krankheit des Familienoberhaupts erreicht Péter, den Ältesten, zu einem nicht ungelegenen Zeitpunkt. Nach gut zehn Jahren in den Diensten des Industriellen Emmanuel, kann sich Péter mit einem einleuchtenden Grund aus dem totalen Zugriff seines Arbeitsgebers befreien ohne dabei selbst seine Absichten zu deklarieren. Schwester Anna lebt noch in der Provinzstadt, hat noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben, dass der „Richtige“ auftauchen wird. Ihr Geld verdient sie mehr schlecht als recht als Lehrerin für Französisch und Italienisch an einer Mädchenschule. Als einziger und noch dazu unverheirateter Frau unter den Geschwistern fällt ihr die Rolle des "guten Geists" der Familie zu, der in dem sich ankündigenden Zerfall noch versucht, alle und alles zusammenzuhalten. Sie fügt sich zwar in diese Rolle, aber hinter der gutmütigen Oberfläche brodeln allerlei großbürgerliche Ressentiments, die sich dennoch nie offen entladen. Bruder Tamás, das Produkt der zweiten Ehe von Gábor Garren mit einer nicht standesgemäßen Frau, die auf Dauer mit dem bürgerlichen Leben nicht zurechtkam und schließlich durchbrannte, hat eigentlich schon länger mit der Familie abgeschlossen. Er kommt aus Pflichtbewusstsein, wahrt Distanz zum Vater und zu den Geschwistern und hängt noch immer den letzten Tagen seiner Jugend nach, wo er in einer Clique für eine kurze Zeit die eigentliche Heimat gefunden hat. Ansonsten lebt er ein prekäres Leben, zwischen Geldnot und Zwangsneurosen. Am weitesten von dem bürgerlichen Leben der Gárrens abgerückt ist wohl Albert, der ein Leben als einfacher Angestellter führt, in den Augen der anderen Geschwister ein eindeutiger Abstieg, wenn nicht gar Verrat. Das hält ihn aber nicht davon ab, noch während der Vater lebt, mit dem stummen und höflichen Einverständnis seiner Geschwister seinem Erbe etwas vorzugreifen. Der jüngste Sohn, der schöne Edgar, stammt von der dritten Frau Gárren, der bescheidenen Erzsébet, die sich in ihrer stillen Art um ihren Mann kümmert und ansonsten vor den sich gegenseitig belauernden Geschwister den Rückzug in die Küche angetreten hat. Über Edgar erfährt man nur wenig und nur, dass er aufgrund seiner ausgewiesenen Schönheit wohl etwas narzistisch veranlagt ist und schon sehr früh die Konventionen der Familie hinter sich gelassen hat. Er ist es schließlich auch, der nach drei Wochen angespannten Wartens schließlich seinen Geschwister „leise und kalt“ die Frage stellt, vor der sich alle fürchten: "Was denkt ihr, wie lange kann es noch dauern?" Das ist das Stichwort für den endgültigen Zerfall der Familie, die eigentlich nichts mehr zusammenhält als die Erinnerung an die vergangene Größe, und diese stirbt mit dem Vater. Es war wohl auch die Aussichtslosigkeit, dass sein „Werk“, nämlich die Aufrechterhaltung der „menschgemäßen Zivilisation“, durch die Kinder weitergeführt wird, die dem Vater die Freude am Leben genommen hat.

Der Einstieg in den vorliegenden Roman lässt noch vermuten, dass hier eine Geschichte erzählt wird, bei der die Handlung im Vordergrund steht. Die Schilderung des Aufbruchs von Péter Garren baut genügend Spannung auf, um (zu) schnell über die philosophischen und psychologischen Betrachtungen hinwegzulesen. Mit der Zusammenkunft der Geschwister im Elternhaus kommt die Handlung jedoch zum Stillstand und löst sich in Schilderungen des Innenlebens der Protagonisten und einer in manieristisch-metaphorische Sprache gehüllte Beschreibung der Geschichte der „Stadt“ auf. Historische Ereignisse tauchen an dieser Stelle zwar auf, werden aber bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert. Nach einem „Krieg“, von dem die Stadt im Wesentlichen unbehelligt geblieben war, tauchen „die Fremden“ auf, denen sich die Bürger der Stadt kampflos ergeben, weil die vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen eigentlich schon längst ausgehöhlt und nur mehr Fassade sind. Das alles gerät stellenweise zu langatmig und wiederholend, hier sieht man dem Buch sein Alter an. Wenn da nicht zwischendurch immer wieder knappe Beobachtungen eingestreut wären, die, wie Marai selbst feststellte (siehe oben), weit über den unmittelbaren zeitlichen Kontext hinauswirken. Insgesamt bedeutet das auf den restlichen ca. 400 Seiten ein sehr gemischtes Leseerlebnis. 

Ein erläuterndes Vorwort hätte dem Buch auf jeden Fall nicht geschadet, um die LeserInnen darauf vorzubereiten, dass sie sich bei der Lektüre der „Eifersüchtigen“ Zeit lassen sollten. Offensichtlich ist die Wiederentdeckung von Sándor Márai jedoch schon so weit fortgeschritten, dass sich der Erfolg von selbst einstellt. Diese Kommerzialisierung entbehrt im Übrigen nicht einer gewissen Ironie, besteht doch „das Werk der Garrens“ darin, sich den Dingen zu entziehen, die ausschließlich auf den Gelderwerb ausgerichtet sind.

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Anspruch: