Großmutters Schuhe

von Renate Welsh
Rezension von Janett Cernohuby | 26. Januar 2009

Großmutters Schuhe

Die Familie begrenzt sich heutzutage auf einen eher kleinen Kreis. Vater, Mutter, Kinder, sofern sie noch leben die Großeltern und vielleicht noch Onkel und Tante ersten Grades - das war es dann aber meistens schon. Streit und Differenzen sind in mittlerweile in jeder Familie zu finden und die Anzahl der sogenannten schwarzen Schafe hat sich auf ein Vielfaches erhöht, die sich stets aus der Sicht der unterschiedlichen Familienmitglieder verändern kann. Wie passend erscheint da Renate Welshs Roman "Großmutters Schuhe", in welchem sie genau auf dieses Thema einzugehen scheint.

Es ist eine jener seltenen Treffen, zu der die gesamte Familie - also mehr als Mutter, Vater, Kinder - zusammentreffen. Doch es ist kein freiwilliges Treffen, zu dem man mit Freude geht. Vielmehr ist es die Pflichtveranstaltung "Beerdigung", zu der sich alle noch einmal versammeln und einen geliebten Menschen verabschieden. Edith Karmann ist gestorben und mit ihr auch das Oberhaupt einer großen Familie. Während des Leichenschmauses im Gasthaus blickt jeder der geladenen Gäste noch einmal auf sein Leben und das der Verstorbenen zurück. Nicht immer freundlich, denn gerade die Töchter Ediths gehen dabei hart mit ihrer verstorbenen Mutter ins Gericht. Zu viele Erwartungen hätte diese an ihre Töchter gehabt und zu wenig Liebe gegeben. Eine Katastrophe war sie als Mutter und schuld daran, dass man auch zu seinen eigenen Kindern keine richtige Beziehung aufbauen konnte. Und tatsächlich erscheint es so, als würden alle der ersten und zweiten Generation - ganz gleich ob Familie oder Bekannte - so denken. Für den Großteil der Trauergäste scheint Edith ein berechnender Mensch gewesen zu sein, der jeden das hat hören lassen, was dieser hören wollte. Jemand, der Menschen so manipuliert und benutzt hat, wie er sie nun einmal brauchte. Lediglich die beiden Urenkel David und Patricia scheinen ein anderes Bild von ihrer Großmutter zu haben. Für sie war sie Edith jemand, mit dem man "herrlich hat lästern können" und der stets für einen da war. Doch noch etwas wissen die beiden: Mit dem Tod ihrer Urgroßmutter hat auch die Familie aufgehört zu leben, da sie ihres Herzstücks beraubt wurde, das sie zusammengehalten hat...

Familienfeste sind selten für alle ein Quell der Freude. So verhält es sich auch in "Großmutters Schuhe". Renate Welsh zeichnet mit ihrem Roman ein Familienporträt, welches geprägt ist von zynischen Rückblicken auf das bis dahin geführte Leben und gleichzeitig eine Abrechnung mit dem verstorbenen Familienoberhaupt. Dem Leser wird eine Familie gezeigt, die eigentlich keine ist. Keiner mag den anderen; am wenigsten die Verstorbene. Man rechnet ab mit der Vergangenheit ebenso wie mit den anderen - natürlich nur im Stillen, in Gedanken. Denn laut spricht niemand über Edith Karmann - außer vielleicht Schwiegersohn Eberhard, der eine Ansprache über die Verstorbene hält. So wird der Leser zu einem Voyeur, erhält Einblick in den tiefsten Familienklatsch und ergötzt sich an den ganz unterschiedlichen Meinungen über die Verstorbene. Doch am Ende stellt sich der Leser eine entscheidende Frage: Wer war Edith Karmann und was hat man nun selber für ein Bild über sie? Man lernt ganz unterschiedliche Facetten und Eigenheiten jener Frau kennen, die für die einen ein Tyrann und für die anderen eine Verbündete war.
So fesselnd der Roman auch ist, handelt es sich bei diesem keineswegs um unterhaltende Lektüre. Dafür ist das Thema zu tiefgründig, die Erzählweise zu gleichförmig und zu undynamisch. Es ist eine anspruchsvolle Handlung für Leser, die gerne Erzählungen mit Tiefgang lesen.

"Großmutters Schuhe" ist ein Familienporträt mit Tiefgang, welches aber gleichzeitig versteckt auf die Zwiespälte in der eigenen Familie hinweist. Der Leser wird zum stillen Beobachter einer fremden Familie, nur um vielleicht seine eigene wiederzuerkennen.

Details

  • Autor*in:
  • Verlag:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    11/2008
  • Umfang:
    196 Seiten
  • Typ:
    Taschenbuch
  • ISBN 13:
    9783423246958
  • Preis (D):
    12,9 €

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Humor:
    Keine Bewertung
  • Gewalt:
    Keine Bewertung
  • Gefühl:
  • Erotik:
    Keine Bewertung