Naked Lunch

von William S. Burroughs
Rezension von Stefan Cernohuby | 03. März 2009

Naked Lunch

Verschiedene literarische Werke haben auch fünfzig Jahre nach ihrem erstmaligen Erscheinen nichts von ihrer Faszination und der Kraft ihrer Erzählung verloren. So heißt es auch von William S. Burroughs Werk „Naked Lunch“, das erstmals 1959 veröffentlicht wurde. Nachdem jenes Buch 2009 auf Deutsch in seiner ursprünglichen Fassung im Verlag Nagel & Kimche erscheint, muss diese Gelegenheit genutzt werden, sich noch einmal mit ihm zu beschäftigen.

Würde man als unbedarfter Leser und völlig ohne Vorwissen an das Buch herantreten, bestünde eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, es einfach entrüstet beiseite zu legen und nie wieder anzusehen. Informiert man sich allerdings vorher, wovon das Werk handelt und wie es geschrieben ist, sieht man es schon vorab mit anderen Augen. Hauptperson der Erzählungen ist William Lee - auch unter einigen anderen Pseudonymen bekannt -, der nichts anderes als das literarische Äquivalent des Autors darstellt. Lee erzählt in wirren, willkürlich aneinander gereihten Fragmenten Geschichten aus seinem Leben. Dieses ist durchsetzt mit Drogenkonsum, dem Gefühl völliger Unwirklichkeit sowie sexuellen Eskapaden, Verwirrungen und Erlebnissen jeder Art. Und wenn hier „jeder Art“ geschrieben wird, kann der Normalbürger sich keineswegs alle Dimensionen vorstellen, in die „Naked Lunch“ vordringt. Ob es nun um Ermittler geht, die den Drogen verfallen und damit beginnen, ihre Vorgesetzten, Kollegen und Junkies zu essen, oder ob wilde Orgien vorkommen, bei denen Ausscheidungen gegessen und Geschlechtsorgane abgetrennt werden, die Grenze zwischen Realität und völligem Wahnsinn ist fließend. Vermutlich ist sie genau so dargestellt, wie sie der Autor damals selbst wahrgenommen hat.
Zusätzlich zu den eigentlichen Erzählungen findet man im Buch Texte von William S. Burroughs, die eine Art von Vorwort und Nachwort darstellen sowie Gedanken und Fakten, die sich um die Erschaffung des Werks drehen. Auch ursprünglich nicht veröffentlichte Passagen kann man hier nachlesen.

„Naked Lunch“ gilt, wie schon eingangs erwähnt, für bestimmte Gruppen als eine der wichtigsten literarischen Schöpfungen überhaupt. Insbesondere für die „Beat Generation“, die versuchte eine Gegenbewegung zu der in ihren Augen veralteten und konservativen Gesellschaft zu schaffen, galt und gilt das Werk auch heute noch als „Bibel der Gegenkultur“. Bedenkt man, dass das Buch ursprünglich Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts entstanden ist, kann man sich einigermaßen vorstellen, warum es zeitweilig verboten wurde. Es ist in jeglicher Hinsicht anstößig, pervers, ekelhaft, unmoralisch und widerspricht insbesondere all den Normen und Werten, nach denen man zum Zeitpunkt seines Erscheinens sein Leben ausrichtete. Das hat sich auch heute noch nicht wirklich geändert. Als beeindruckend ist die Übersetzung von Martin Kellner zu bezeichnen. Denn wer in der Lage ist, derart „harten Stoff“ so zu übersetzen, dass er nicht nur lesbar ist, sondern auch die Grundstimmung von Illumination, Exzess und dunklen Phantasien zu transportieren vermag, verdient ein Extralob.
Das Werk „Naked Lunch“ kann trotzdem nur Lesern empfohlen werden, die vor Experimenten und alternativen Schreibstilen nicht zurückschrecken. Vor allem die angewandte Cup-Up-Method, also die völlig willkürliche Aneinanderreihung der Erzählfragmente, könnte potentielle Leser abstoßen. Zudem muss wirklich Interesse dafür vorhanden sein, in die verzerrte Gedankenwelt einer dunklen Subkultur abzutauchen. Auf wen all diese Beschreibungen zutreffen, dem wird William S. Burroughs „Naked Lunch“ ein einzigartiges Leseerlebnis bereiten.

Auch fünzig Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen kann William S. Burroughs Werk „Naked Lunch“ noch schockieren und beeindrucken. Das Buch, das seitdem nichts an Aktualität eingebüßt hat, ist zwar sicherlich als Klassiker zu bezeichnen, im Gegenzug aber sehr schwer verdaulich. Daher sollte man sich ihm nur dann widmen, wenn man sich wirklich schon vorab bewusst ist, wofür das Buch steht.

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Bewertung

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