Parts per Million


Gewalt ist eine Option
von Theresa Hannig
Rezension von Stefan Cernohuby | 06. Oktober 2024

Parts per Million

Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Weltpolitik im Jahr 2024 rückt eines der wichtigsten Themen überhaupt im Moment ziemlich in den Hintergrund: die Klimakatastrophe und die gemeinsamen Bestrebungen, selbige zumindest abzumindern. Theresa Hannig hat sich in ihrem neuen Roman „Parts per Million“ mit Klimaaktivisten und ihren Methoden auseinandergesetzt. Und sie spinnt den Gedanken, wohin sich die aktuelle Situation in naher Zukunft entwickeln könnte.

Ihren ersten direkten Kontakt mit Klimaaktivist*innen hat Johanna Stromann, als sie aus erster Hand mitbekommt, wie eine friedliche Blockade vor ihrem Auto von anderen Autofahren gewaltsam aufgelöst wird. Nach einigen Gesprächen mit den Beteiligten reift in ihr der Gedanke, einen Roman über die Klimabewegung zu schreiben. Eine Idee, die weder bei ihrem Verleger, noch in ihrer Familie große Begeisterung auslöst – ganz im Gegenteil. Denn man will sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Dem Scheitern von Politik und Gesellschaft, eine vernünftige Linie zu finden, um den einzigen Planeten zu retten, den man hat. Ohne Recherche ist ein solcher Roman allerdings Unsinn, also sucht Johanna Kontakte, um mit der Szene Kontakt aufzunehmen. Einer Szene, die nach eigenen Regeln funktioniert, um die Sicherheit der Mitwirkenden zu gewährleisten. Und sie erkennt schockiert, dass die immer streng pazifistischen Aktionen mit immer größerer Gewalt und politischem Druck kleingehalten und vertuscht werden. Als bei einem friedlichen Protest sie und ihre Tochter eingekesselt werden und eine Aktivistin durch Polizeigewalt stirbt, beschließt sie, mehr zu tun, als ihr Buch zu schreiben. Denn sie sieht nur eine Möglichkeit, um Aufmerksamkeit zu erregen. Die Klimabewegung muss mit dem was sie tut, richtigen Schaden anrichten. So wird sie selbst zur Schöpferin einer neuen Gruppe an Klimaaktivist*innen, deren Vorgehen immer radikaler wird: Parts per Million.

Das Buch ist eine Gratwanderung, sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich der Botschaften, die man in und zwischen den Zeilen herauslesen könnte. Fakt ist, alle tun zu wenig, um Klimaziele realistisch zu verfolgen. Angefangen bei Entscheidungstragenden in der Politik, über die Wirtschaft bis hin zum Einzelnen. Davon kann sich niemand ausnehmen. Aktuell sieht es auch so aus, als würde die Welt jedes selbst auferlegte Klimaziel um Lichtjahre verpassen. Gleichzeitig ist auch so, dass friedliche Klimaschützer*innen lieber kriminalisiert und beschimpft werden, als dass man sich mit ihnen auseinandersetzt … oder überhaupt auseinandersetzen möchte. Was wäre also naheliegender, als dass irgendwann jemand eine Idee über den Zaun wirft, vielleicht von den friedlichen Sitzstreiks und dem Bemalen von Kunstwerken zu minimal anderen Methoden zu greifen. Wie etwa SUVs fahrunfähig zu machen. Oder Stinkbomben in Vorstandsmeetings großer Klimasünder zu zünden. Dass es von diesen theoretischen Aktionen zu noch plakativeren und radikaleren Aktionen kommt, kann man sich gut vorstellen. Und das ist auch, womit sich der Roman auseinandersetzt. Mit dem gesellschaftlichen Äquivalent eines Dampfkochtopfs. Wenn man immer mehr Druck aufbaut und selbigen nicht entweichen lässt, gibt es irgendwann unvermeidlich eine Explosion. Der Druck besteht aktuell darin, eine gesellschaftliche Gruppe mit einem altruistischen Ziel hinsichtlich einer immer schlimmer werdenden Situation einfach zu ignorieren. So lädt das Buch keineswegs dazu sein, die beschriebenen Taten nachzuahmen, sondern skizziert eine mögliche Entwicklung einer Klimabewegung, wie sie angesichts der Gesamtsituation keineswegs unrealistisch erscheint. Denn was bleibt Aktivist*innen, wenn man sie komplett ignoriert? Ein Roman, den sich jeder zu Herzen nehmen sollte, um einen anderen Kurs einzuschlagen, bevor die Situation eskaliert – in jeglicher Hinsicht.

„Parts per Million“ von Theresa Hannig setzt sich in einer viel zu nahen Zukunft mit der Klimabewegung, ihren Methoden und dem Potenzial zur Eskalation auseinander, wenn friedliche Proteste und nachvollziehbare Forderungen weiter ignoriert, vertuscht und kriminalisiert werden. Die Zündschnur ist kurz und der eine, letzte Schritt viel zu leicht getan. Schon heute. Eine absolute Leseempfehlung, die allerdings nicht für jede Gemütslage geeignet ist.

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Gewalt:
  • Gefühl:

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