Es gibt Romane, die einfach nur eine gute Geschichte erzählen wollen, unabhängig von ihrem Setting. Doch es gibt auch andere Werke, die ein ganzes neues Gesellschaftsmodell entwerfen und dieses als integralen Bestandteil der Handlung verstehen. „Die Auflösung“ von Benjamin Rosenbaum gehört definitiv eher in die zweite Kategorie als in die erste. Wir haben uns das Werk näher angesehen.
Ein anderer Planet, eine stark veränderte Menschheit. Geschlechter funktionieren anders, die Rollen von Vätern und Müttern haben sich gewandelt. Menschen existieren nicht in einer einfachen Form wie jetzt, sondern in verschiedenen Körpern gleichzeitig und sie werden viele hundert Jahre alt. Es gibt Staids und Bails, die unterschiedlich sind – was bei der Geburt festgelegt wird, wenngleich offenbar nicht immer richtig. Das Konzept der Erziehung ist ebenfalls ein völlig anderes. Eine Kohorte an Vätern, die natürlich ebenfalls verschiedene Köper besitzen, ist für einen jungen Menschen verantwortlich – außer ein Letztgeborener verdrängt den jungen Menschen in die Bedeutungslosigkeit. Inmitten des Prozesses des Heranwachsens trifft Fift auf einen jungen Wissenschaftler namens Shira. Dieser experimentiert an sich und mit der Umwelt und dadurch auch mit Fift. In einer Situation, in der die nicht wie sonst permanent vom allgegenwärtigen Feed verfolgt werden, der von jedermann verfolgt werden kann, sondern unter sich sind. Und wie durch diese Situation ermuntert fragt Fift eine uralte Außerirdische eine Frage nach der Zukunft der Menschheit. Einer Menschheit, deren Zusammenhalt durch anarchische Clowns und deren Hintermänner hart auf die Probe gestellt wird, denn diese bringen den Feed zum Erliegen. Die Informationsquelle, auf die alle angewiesen sind. Doch Fift tut noch viel mehr. Etwas, das nicht nur die eigene Väterkohorte in Gefahr bringt...
Wenn man bei einem Roman die ersten 70 Seiten mit gerunzelter Stirn liest und sich bemüht herauszufinden, was einem der Verfasser damit eigentlich sagen will, ist das kein gutes Vorzeichen für den Rest des Buchs. Zum Glück nimmt danach die eigentliche Handlung an Fahrt auf. Das Erkennen der Grenzen der eigenen Gesellschaft, das Kennenlernen neuer Wege und die Auflehnung gegen Einschränkungen. Leider machen es die Erzählperspektive der verschiedenen Körper und die damit verbundenen Sprünge im Fluss des Texts nicht unbedingt einfacher, der Handlung zu folgen. Diese bleibt nebulös, der Sinn der verschiedenen Geschlechter immer im Dunkeln. Auch die verschiedenen Strafaktionen und die Instanzen, durch die die Handlung geht, bleiben genauso wie die unerklärliche Angst der Väter, dass ihre Kohorte aufgelöst wird, einfach nur seltsam. Die Handlung selbst wird trotz des Tempowechsels im ersten Drittel nie spannend, weil man als Leser nicht so genau ermessen kann, was wichtige Informationen sind und was Alltagsgeplänkel im Feed. Was Tausende bis Milliarden Follower bedeuten und was man wirklich ernst nehmen muss. Insofern ist „Die Auflösung“ zwar ein ambitionierter und herausfordernder Roman, der aber an der selbst auferlegten Bürde, Hintergründe mittels Infodumps erklären zu wollen und das Wesentliche dann doch zu verschweigen, scheitert.
„Die Auflösung“ ist ein gewissermaßen experimenteller, ungewöhnlicher und definitiv anderer Science-Fiction-Roman von Benjamin Rosenbaum. Leider kann das Werk überhaupt nicht überzeugen. Das liegt nicht allein an den ewig ausgeführten aber dann trotzdem nicht verständlichen Gesellschafts- und Geschlechterkonzepten. Auch der Spannungsbogen will nicht richtig funktionieren und die Auflösung der Handlung lässt den Leser immer noch ratlos zurück. Schade eigentlich, denn das Buch selbst war definitiv eine ambitionierte Aufgabe, welche der Autor leider nicht wie gewünscht umsetzen konnte.
Details
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Originaltitel:The Unraveling
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Erschienen:05/2018
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Umfang:368 Seiten
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Typ:Hardcover
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Altersempfehlung:14 Jahre
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ISBN 13:9783492704670
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Preis (D):20,00 €