Zwei Kontinente

von Jussi Valtonen
Rezension von Elisabeth Binder | 02. Mai 2017

Zwei Kontinente

Für den gelernten Psychologen Jussi Valtonen ist "Zwei Kontinente" bereits der vierte Roman, aber erst mit diesem Buch schaffte er den Durchbruch als Beststellerautor. Im Erscheinungsjahr 2014 erhielt Valtonen dafür den bekanntesten Literaturpreis Finnlands. Was steckt also dahinter, wenn sich ein Land in einem Buch wiederfindet?

Joe, ein amerikanischer Neurowissenschaftler, lernt Mitte der 90er Jahre bei einer Konferenz in Europa die finnische Studentin Alina kennen. Die beiden haben eine kurze Konferenzromanze und bleiben in Kontakt. Nach einem weiteren Treffen in London wird Alina schwanger. Die beiden heiraten und Joe nimmt eine Stelle in Finnland an. Das junge Familienglück hält nicht lange. Dazu kommt, dass Joe von der Engstirnigkeit und Provinzialität der Finnen, seine Frau miteingeschlossen, immer mehr enttäuscht ist. Er geht schließlich alleine in die USA zurück und bekommt mit viel Glück eine Stelle an einer renommierten Universität. Dort stürzt er sich in die Arbeit, heiratet ein zweites Mal und lebt mit seiner Frau und den zwei Töchtern ein Bilderbuchleben. Alina erzieht ihren Sohn Samuel zunächst alleine, lernt schließlich Henri kennen und bekommt dann noch zwei Söhne. Alles gut, Ende gut? Nein, denn Joe sieht seine Forschung auf breiter Front von Tierversuchsgegnern angegriffen. Das wirkt sich nicht nur auf seine Arbeit aus, sondern auch auf sein Familienleben. Gleichzeitig erfährt Joe von Alina, dass sein Sohn sich in den USA aufhält und sich einer Gruppe von Tierversuchsgegners in Oregon angeschlossen hat. Soweit also die vordergründige Geschichte. Daneben kämpft Joe noch an einigen anderen Schauplätzen: daheim und auf der Universität, während sich die Ostküste wieder auf die alle 20 Jahre stattfindende Zikadeninvasion vorbereitet. Die Zeichen deuten also auf ein dramatisches Ende.

Dieser Roman ist ein teilweise sehr willkürliches Patchwork vieler Themen, die aber am Ende einfach kein organisches Ganzes ergeben. Ebenso bruchstückhaft ist das Innenleben der Protagonisten. Der Großteil der Geschichte wird aus den wechselnden Perspektiven der Protagonisten erzählt und das mit einem erstaunlichen Mangel an Selbstreflexion. Das ist wohl dem Konstruktionsprinzip des Romans geschuldet. Die über zwei Kontinente und zwei Jahrzehnte verteilte private und öffentliche Geschichte erschließt sich nur über die Erinnerungen der drei Hauptfiguren. Diesen Erinnerungen wird also die narrative Last des Romans aufgebürdet, kein Wunder also, dass die Personen selbst vergleichsweise uninteressant und oberflächlich bleiben. Das Buch ist langatmig und wirkt paradoxerweise am Ende doch noch hastig hingeschrieben, auf den letzten 60 Seiten werden in einem handlungsreichen Finale noch schnell alle offenen Fragen gelöst. Etwas mehr Ambiguität hätte dem Roman sicher nicht schlecht getan. Dazu kommt noch, dass Valtonen sich zu sehr bemüht, ein kritischer Chronist des heutigen Finnlands zu sein. Was die streckenweise etwas dick aufgetragene Finnenschelte betrifft, so ist für Außenstehende schwer zu beurteilen, ob gerade das dem Buch in Finnland zu seiner Popularität verholfen hat. Ähnlich rätselhaft bleibt für Nicht-FinnInnen auch die folgende Metapher: "Die Autoreifen waren platt wie das Selbstbewusstsein eines jungen finnischen Mannes." (S. 378)

"Zwei Kontinente" ist ein ambitionierter Roman, mit eindeutigen Anleihen an den amerikanischen Gesellschaftsromanen eines Jonathan Franzen oder Dave Eggers. Das Konzept geht aber über weite Strecken nicht auf. Dem steht der Ehrgeiz des Autors im Weg, möglichst viele aktuelle gesellschaftliche und politische Themen mit maximaler Ernsthaftigkeit zu kommentieren.

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