Abgespeist


Wie wir beim Essen betrogen werden und was wir dagegen tun können
von Thilo Bode
Rezension von Stefan Cernohuby | 17. Juni 2024

Abgespeist

Nahrung ist etwas, das jeder Mensch zum Leben benötigt. Von Nahrung zu gesunder Ernährung ist es allerdings ein großer Schritt, der nicht nur damit zu tun hat, ob wir genügend Gemüse essen. In seinem Buch „Abgespeist“ illustriert der ehemalige Greenpeace-Geschäftsführer und Chef der Verbraucherrechtsorganisation „foodwatch“, was alles schief läuft in den Nahrungsmittelregalen unserer Supermärkte.

Wenn ein Gütesiegel auf Produkten klebt und wenn der Preis nur hoch genug ist, dann stimmt die Qualität der Lebensmittel. So denkt der Normalbürger. Falsch, gleich in der Einleitung und im ersten Kapitel seines Buchs mit dem Untertitel „Wie wir beim Essen betrogen werden und was wir dagegen tun können“ weist Thilo Bode darauf hin, dass derartige Annahmen schlichtweg falsch sind. Denn es existiert ein System hinter den vielen Skandalen um Lebensmittel, die immer wieder für kurze Zeit in die Medien geraten, um danach ebenso schnell wieder unter anderen Schlagzeilen zu verschwinden.
Schon im Supermarkt fängt es an. Die richtige Platzierung von Produkten bestimmt der Gewinn, den jeder Artikel verheißt. Wie viel weiß man über die Inhalte der einzelnen Lebensmittel. Alles? Tatsächlich? Was ist der Unterschied zwischen natürlichem, naturidentischem und künstlichem Aroma? Wie viel Natur steckt im Natürlichen? Weit weniger als wir glauben...
Besonders im Bereich Fleischwaren steht es gar nicht gut um die Qualität, weiß Thilo Bode zu berichten. Aufgrund niedriger Bußgelder und gewaltigem Einfluss der Fleischlobby ist es für viele Hersteller weitaus lohnender, minderwertige Ware anzubieten als hochqualitatives Biofleisch. Skandale kommen zwar zwischendurch in die Zeitungen, haben aber keine größeren Auswirkungen. Die Übeltäter, und vor allem die dahinter stehenden Firmen, können anonym bleiben und ihr Geschäft teilweise sogar weiterführen. BSE sollte uns eigentlich eines besseren belehrt haben, oder? Nein. Nicht, wenn man den Worten des Autors glauben schenken will. Denn schließlich ist für Fleischhändler teilweise sogar einträglicher mit Abfällen zu handeln, als mit Lebensmitteln. Absatzmärkte gibt es dafür genügend und manche davon garantieren eine Wiedergeburt längst vergammelten Fleisches als Wurst oder Gulasch.
Die Tatsache, dass über 30% aller Untersuchungen von Fleisch Beanstandung aufweisen ist sicher kein Zufall. „Einzeltäter, welche die Branche in Misskredit bringen“, wird von selbiger argumentiert. Einzeltäter? Bei über 30%?
Sehr bezeichnend ist auch eine Textpassage desselben Kapitels, in dem Thilo Bode anmerkt, dass es ziemlich genau einen Ort in Deutschland gibt, an dem man bestimmt kein Gammelfleisch bekommt: McDonald’s. Man kann sich vorstellen, wie schwer ein solcher Satz einem ehemaligen Greenpeace-Geschäftsführer fallen muss.
Doch auch bei anderen Lebensmitteln werden wir ganz legal vergiftet, weil es einfach keine passenden Erfahrungs- und Richtwerte gibt. Uran im Mineralwasser, Dioxin in Futtermitteln, die danach an Nutztiere verfüttert werden um daraufhin das Fleisch zu vergiften...
Grenzwerte verschwimmen, werden nicht eingehalten, führen zu Aussagen wie: „Nur im Maßen genießen“.
Diese und weitere Missstände prangert Thilo Bode in seinem Buch „Abgespeist“ an. Die Macht der Lobby, die Unfähigkeit der Politik regulierend einzugreifen, Gütesiegel die für schlechte Produkte werben, die Folgen von EU-Reglementierungen und die heutige Unmündigkeit der Konsumenten - all diese Themen werden näher ausgeführt.

Was ist nun von diesem Buch zu halten? Eine schwierige Frage für jemanden, der sich bisher noch nicht mit der Materie auseinandergesetzt hat. Viele der Themen sind schlicht solche, über die man sich tagsüber keine Gedanken macht. In dieser Hinsicht verschafft einem „Abgespeist“ mehr Wissen, als man sich vermutlich gewünscht hätte. Besonders die Themen Fleischqualität und Dioxinbelastungen stoßen mehr als übel auf. Aber neben informativen und aufklärenden Kapiteln sind dem berufsmäßigen Idealisten Thilo Bode einige Seiten entkommen, die mit dem grundsätzlichen Thema wenig bis gar nichts zu tun haben und einfach nur fehl am Platz wirken. So wird der Wirtschaftsraum EU angegriffen, dafür verantwortlich gemacht, dass Drittweltländer agrartechnisch immer weiter heruntergewirtschaftet werden. Einerseits wird ein freier Markt gefordert, andererseits wird die Einschränkung desselben auf den Rest der Welt verdammt. Nunja, Globalisierung und Misswirtschaft hin oder her, die anderen Kapitel lesen sich sowohl fundierter, als auch weit weniger politisch gefärbt.
Lehrreich ist „Abgespeist - Wie wir beim Essen betrogen werden und was wir dagegen tun können“ in jedem Fall. Manche Inhalte mögen auf den ersten Blick wie Schwarzmalerei oder Effekthascherei wirken, entsprechen jedoch mit Bestimmtheit größtenteils der Wahrheit. Nicht umsonst versucht Thilo Bode mit seiner Verbraucherrechtsorganisation „foodwatch“ dem unwissenden Konsumenten beizustehen. Vielleicht kann mit diesem Werk der erste Schritt in Richtung eines aufgeklärteren und transparenteren Lebensmittelhandels getan werden. Das wäre sicherlich wünschenswert, so wenig wie man über die meisten Produkte und ihre Inhaltsstoffe eigentlich weiß.
Schön ist für alle Stammkunden in Discountern zu lesen, dass man keinesfalls Verbraucher dafür verantwortlich machen kann, wenn Gammelfleisch am Markt zu finden ist. Die moderne Mentalität „Geiz ist geil“ darf nicht zu Vergiftungen führen. Denn - um einen der Lieblingsvergleiche von Thilo Bode zu zitieren - auch in der Automobilindustrie würden Fahrzeuge, deren Sitzgarnituren sich als krebserregend erweisen, schleunigst aus dem Verkehr gezogen. Warum gilt das gleiche Vorgehen nicht auch für Lebensmittel?
Eine Frage, über die man sich Gedanken machen sollte.

Thilo Bodes Buch „Abgespeist“ bietet Einblicke in Themen, die viel zu oft verharmlost werden. Fleischskandale, bewusste Desinformation und wie Menschen legal vergiftet werden. Auch wenn einige Kapitel doch in idealistischer Kritik am wirtschaftlichen Vorgehen der EU ausarten, kann das ansonsten sehr informative Werk jedem empfohlen werden. Jedem, der die Wahrheit über die Qualität der Lebensmittel in Deutschland wirklich wissen will. Wer glaubt, schon sonst genügend Probleme zu haben, sollte um dieses Werk lieber einen großen Bogen machen.

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