Abschottung


Die neue Macht der Mauern
von Tim Marshall
Rezension von Michael Seirer | 28. Dezember 2018

Abschottung

Nur zu gut ist die Grenzmauer von Donald Trump in Erinnerung, die er den Amerikanern bei seinem Amtsantritt versprach. Ähnlich polternd lies Viktor Orbán einen Drahtzaun an der Grenze Ungarns errichten und riegelte damit die Balkan-Route ab. Zwei von vielen Beispielen die ein neues Zeitalter der Grenzen und Mauern ankündigen? Tim Marshall bereiste als Auslandskorrespondent der BBC über 30 Länder, auch die Kriegsgebiete in Syrien, Afghanistan und Kosovo und zeigt in seinem neuesten Bestseller “Abschottung” die globalen Tendenzen zur Abgrenzung, wie verschiedenartig Mauern sein können und wie diese entstanden sind.

Das Buch ist in acht große Kapitel unterteilt: China, USA, Israel und Palästina, der Nahe Osten, der indische Subkontinent, Afrika, Europa und das Vereinigte Königreich. Die einzelnen Kapitel zeigen, wie unterschiedlich Mauern beziehungsweise die dadurch erwirkte Abschottung sein kann.

China ist ein Land der Extreme. War die Chinesische Mauer geschichtlich noch ein Paradebeispiel für militärische Absicherung, so ist es heute die Great Firewall, welche den freien Fluss von Daten und damit auch das Entwickeln einer Opposition unterbindet. Unscharf formulierte rechtliche Regelungen ermöglichen den staatlichen Behörden fast alles. Aber neben solchen, auch im Westen bekannten Einschränkungen ist China besonders durch eine Spaltung entlang Arm und Reich gekennzeichnet. Trumps “Make America Great Again” soll insbesondere durch den Bau der versprochenen Mauer realisiert werden. Aber die Grenze zwischen den USA und Mexiko hat eine lange und komplizierte Geschichte. Ein Abschnitt über die Mauer zwischen Jerusalem und dem palästinensischen Westjordanland behandelt, was zur Mauer geführt hat und ob/was sie bewirkt.  Im Kapitel des Vereinigten Königreiches werden die Geschichte des Hadrianswalls, Nordirlands bis zum Brexit beleuchtet. Ein Literaturverzeichnis und ein Sach- bzw. Personenregister runden das Buch ab.
Die Schlussbetrachtung spielt mit der Idee einer Welt ohne Grenzen und Mauern und damit völliger Bewegungsfreiheit und einer Weltenregierung. Ein Marshallplan des 21. Jahrhunderts ist notwendig, um die Ressourcen der G20 Staaten im Rahmen einer globalen  Umverteilung besser zu nutzen. Was passiert, wenn das nicht passiert, sehen wir jetzt schon im Ansatz, so der Autor. Umso kritischer wird es, wenn dieser Trend sich verstärkt und gleichzeitig immer neuere Technologien dazu führen, dass immer mehr Jobs wegfallen. Der Knackpunkt: Welche Flüchtlinge nimmt ein Staat dann auf? Wirtschaftsflüchtlinge mit besserer Ausbildung (und nützlicher im Hinblick auf die eigene und technologische Entwicklung) oder Menschen, die vor Verfolgung und Krieg flüchten?

Das Buch ist verständlich und flüssig geschrieben. Geschichtlich komplexe Abläufe werden gut erklärt. Viele Details und vor allem unterschiedliche Sichtweisen werden dargelegt. So wird deutlich gezeigt, dass man beim Nahen Osten nicht an “die Araber” als eine homogene Volksgruppe denken kann, sondern dass es sich hier um eine Vielzahl unterschiedlichster Völker mit verschiedenartigsten Traditionen, Sprachen und Religionen handelt. Spannend ist die Erweiterung des Begriffes “Mauer” über den baulichen Aspekt hinweg auf so unterschiedliche Konzepte wie Internet-Firewalls, Brexit-Verhandlungen oder einen Wall aus Sand. Das Konzept aber ist überall ähnlich: Wir sind hier, dort sind die anderen. So bringt es auch dieses Zitat aus dem Kapitel “Der indische Subkontinent” von Ursula K. Le Guin “Freie Geister” auf den Punkt: “Wie alle Mauern war sie zwiespältig, zweischneidig. Was innen war, und was außen, hing davon ab, auf welcher Seite man sich befand”. Die Mehrzahl der Kapitel zeichnet sich leider auch durch ungenügende Quellenhinweise aus: Es gibt zwar ein Literaturverzeichnis am Ende des Buches, aber einzelne Passagen werden nicht per Fußnote referenziert.

Solange es in der Welt den Kampf um Ressourcen gibt, werden Mauern gebaut und Grenzen gezogen. Das Sprichwort “Gute Zäune schaffen gute Nachbarn” belegt dies, da es in vielen Sprachen existiert. Aber der Mensch ist auch in verzwicktesten Situationen in der Lage Hoffnung zu sehen und vor, zwischen und hinter Mauern diese Hoffnung wieder aufleben zu lassen. Das Buch von Tim Marshall zeigt detail- und facettenreich auf, wie Mauern die Abschottung unterstützen, wie diese sich im geschichtlichen Kontext entwickelten und welche Probleme damit entstanden sind. Fazit: Lehrreich und lesenswert!

Details

  • Autor*in:
  • Originaltitel:
    Divided
  • Verlag:
  • Genre:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    08/2018
  • Umfang:
    336 Seiten
  • Typ:
    Hardcover
  • ISBN 13:
    9783423289818
  • Preis (D):
    24,00 €

Bewertung

  • Gesamt:
  • Anspruch: