Das Geheimnis der Gewalt


Warum wir ihr nicht entkommen und was wir trotzdem dagegen tun können
von Daniel-Pascal Zorn
Rezension von Elisabeth Binder | 04. Mai 2020

Das Geheimnis der Gewalt

Bekannt wurde der promovierte Philosoph Daniel-Pascal Zorn "Mit Rechten reden", das er zusammen mit einem Juristen und Historiker verfasste. Nun legt er mit "Das Geheimnis der Gewalt" seinen ersten Solo-Auftritt hin.

Die Einleitung gibt der lockeren Ansammlung von 28 Essays den Rahmen, eine mögliche Leseanleitung und die Sprache. Den Rahmen bildet das postulierte Zusammenspiel von Gewalt und Geheimnis. Kurz gefasst funktioniert das so: Menschen wünschen sich grundsätzlich ein Leben ohne Gewalt. Die Gewalt gibt es in offensichtlichen und weniger offensichtlichen Manifestationen aber trotzdem. Um diesen Widerspruch auszuhalten, wird die Gewalt auf verschiedenen Ebenen zum Geheimnis erklärt. Gleichzeitig kann auch das Wahren von Geheimnissen - und dazu zählt Zorn beispielsweise auch die Privatsphäre - zur Ausübung von Gewalt führen. Dieser Verschränkung und gegenseitigen Abhängigkeit der beiden Begriffe bilden, mehr oder weniger, den roten Faden für den Rest des Buchs. Wobei dieser rote Faden oft nur die Wäscheleine darstellt, an der die Kapitel, viel guten Willen seitens der LeserInnen vorausgesetzt, aufgehängt sind. Aber das ist Absicht, denn laut Zorn erlaubt es "[d]ie freie Form des Essays (…) durchaus, gedanklich stringent vorzugehen, ohne sich die Zwangsjacke - noch so eine Form der Gewalt - eines Systems oder einer Ideologie überzustreifen." (Seite 21) Auf die Idee, dass man sich mit Theorien inhaltlich auseinandersetzen kann, ohne gleich von einer Zwangsjacke zu sprechen, kommt der Autor nicht. Das erklärt wohl auch die nur punktuelle Zitierung von Quellen, was jemanden, der immerhin eine Dissertation geschrieben hat, nur schwer abzunehmen ist.

Was die Sprache betrifft, und das fällt auf den ersten Seiten bereits auf, bedient sich der Autor eines generischen "Wir", um die LeserInnen direkt anzusprechen. Wie weit dieses "Wir" gefasst ist, wird leider nicht erklärt. Vermutlich handelt es sich um "die Menschen". Inhaltlich begründet wird diese Wahl der Ansprache nicht, hingegen werden LeserInnen, die dem gegenüber ein Unbehagen empfinden, mit ein paar saloppen und so gar nicht gewaltfreien Bemerkungen abgekanzelt. Im weiteren Verlauf der Lektüre besteht stellenweise der dringende Verdacht, dass der Pluralis Majestatis doch noch nicht ganz von der Bildfläche verschwunden ist. Der Blick auf strukturelle Gewalt, die nur an einer Stelle kurz in der Einleitung erwähnt wird (Seite 14), verschwindet somit im allgemein Menschlichen.

Offensichtlich darum bemüht, Philosophie möglichst nah ans Volk ("Wir") zu bringen, greift Zorn mehrfach auf Beispiele aus Literatur und Film zurück. Das Kapitel, das ausschließlich der psychischen Gewalt gewidmet ist ("Seelischer Vampirismus"), besteht vollständig aus der Nacherzählung eines autobiographisch gefärbten Romans jüngeren Datums und unbekannter literarischer Qualität. Bei Kapiteln, die sich an Filmen orientieren ist übrigens Vorsicht geboten, die kommen nämlich ohne den üblichen Spoiler Alert. Wer also Soylent Green, Matrix, Cloud Atlas oder Game of Thrones noch nicht gesehen (bzw. gelesen hat), der sollte die entsprechenden Kapitel überspringen. Die Beispiele aus dem "täglichen Leben" hingegen sind so unfassbar plakativ und unterschätzen die Reflexionsfähigkeit der LeserInnen, vor allem was den Zusammenhang von Macht und Gewalt angeht.

Die im Untertitel ("Warum wir ihr nicht entkommen & was wir trotzdem dagegen tun können") versprochene Gegenbewegung zur Gewalt taucht nur im Schluss auf und fällt im Übrigen sehr kurz und enttäuschend aus - was immer den Autor dazu bewogen hat, diesen Anspruch für sich selbst zu erheben.

Bei der Auswahl des Leitmotivs ist der Autor wohl der Versuchung der Alliteration erlegen - "Gewalt und Geschwurbel" hätte die Substanz des Buchs besser zusammengefasst. Wer gerne selbstgefällige und unzusammenhängende Randbemerkungen zum Thema Gewalt liest, sollte unbedingt zu Zorns Buch greifen.

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