Denksport Deutsch


Wer hat bloß die Gabel zur Frau und den Löffel zum Mann gemacht?
von Daniel Scholten
Rezension von Elisabeth Binder | 21. November 2016

Denksport Deutsch

Daniel Scholten betreibt seit 2010 „Belles Lettres“, ein „Onlinemagazin und Video-Podcast für Sprachkunde und Stilistik“ (http://www.belleslettres.eu/about.php), das sich dem „Deutsch für Dichter und Denker“ widmet. Offensichtlich weiß Scholten wovon er spricht, das Material Sprache begleitet ihn in der einen oder anderen Form seit seiner Jugend. Einer Lehre als Typograph folgte sprachwissenschaftliches Studium, die Herausgabe von Literaturzeitschriften, vier Krimis im skandinavischen Stil und laut eigener Auskunft auch Bücher, die unter einem Pseudonym verfasst wurden.

In vier Kapiteln widmet sich Scholten seinen liebsten sprachwissenschaftlichen Steckenpferden. Den Anfang macht gleich das seitenmäßig längste Kapitel zum Thema Genus, also dem grammatischen Geschlecht, dessen Unberechenbarkeit Deutschlernende zur Verzweiflung treibt und Muttersprachler vor einige Rätsel stellt. Vor ca. 5000 Jahren hat sich im Urindogermanischen ein drittes Genus in die Sprache eingeschlichen, das sich im Deutschen erhalten hat. Die vielfältige Geschichte der Genusbildung nimmt über 100 Seiten ein. Danach geht es um das gute Deutsch, dem sich Scholten aus verschiedenen Richtungen annähert. Gutes Deutsch ist für Scholten lebendig und klebt nicht an Regelbüchern für guten Stil. In weiterer Folge werden ein paar heilige Kühe guten Stils geschlachtet, wie am Beispiel des Genetivs sehr ausführlich demonstriert wird. Weiter geht es mit den vom Autor identifizierten sprachlichen Verkleidungen wie Schnösel-, Power- und Zombiedeutsch. Zu guter Letzt gibt es dann am Ende des Kapitels noch praktische Hinweise für die Erreichung eines guten geschriebenen Deutsch. Das dritte Kapitel widmet sich wieder einem grammatikalischen Thema, nämlich dem Konjunktiv und den vielen sprachlichen Missverständnissen, die damit im Zusammenhang stehen. Den Abschluss bildet ein Ausblick auf die Zukunft des Deutschen, die der Autor im Großen und Ganzen positiv sieht.

Die Themenpalette, die Scholten auf über 300 Seiten ausbreitet, klingt also nach dem Blick auf das Inhaltsverzeichnis spannend und interessant. Die Ausführung lässt jedoch zu wünschen übrig. Zu oft drängt sich der Autor mit seinen sehr persönlichen Steckenpferden in den Vordergrund. In bester populistischer Manier werden in jedem Kapitel, das was in letzter Zeit pauschal als „Eliten“ oder „Experten“ bezeichnet wird, gezielt aufs Korn genommen. Im Kapitel zum Genus ist es feministische Wissenschaft, im Zusammenhang mit dem Genetiv schreibt er gegen die Bücher von Bastian Sick an. Auch der Umgang mit Zitaten und die Prognosen von Sprachwissenschaftlern können der Besserwisserei von Daniel Scholten nicht standhalten.

Um die eigene Autorität nicht Fragen aussetzen zu müssen bedient er sich ein paar einfacher Tricks. Zitate sind auf ein Minimum beschränkt, was er auch in Kapitel 3 ausführlich als gutes Deutsch beschreibt. Auf Fußnoten und ein Literaturverzeichnis verzichtet er mit einer blauäugigen Begründung: „Die Literatur der historischen Sprachwissenschaft ist ohne Fachstudium nicht zugänglich. Darum begnüge ich mich mit dem Hinweis, dass ich die übliche Fülle an Fachliteratur ausgeschöpft habe.“ (S. 325). Das Buch enthält aber auch eine Reihe von Theorien und Behauptungen aus anderen Wissensfeldern, wie zum Beispiel Geschichte und Anthropologie, für die der Einfachheit halber auch keine Quellen angegeben werden. Für die Website angekündigte Zusatzmaterialien sucht man dort vergeblich (geprüft am 19.11.2016), also eine weitere Fehlanzeige für mündige Leser.

Wenn Scholten dann den sicheren Boden der Linguistik verlässt, dann bleiben ihm noch zwei Stilmittel übrig, nämlich Humor und Allgemeinplätze. Auch hier traut er den Lesern offensichtlich nicht viel zu. Die meisten Versuche des Autors, die Lektüre mit Humor aufzulockern, bewegen sich nur marginal über das Niveau von Herrenwitzen aus den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts hinaus. Die restlichen Lücken werden mit Gemeinplätzen geschlossen, wie beispielsweise diesem: „Alle Prognosen, die je zur Zukunft des Deutschen aufgestellt wurden, sind mit Sicherheit falsch.“ (Seite 278)

„Denksport Deutsch“ ist eine Mogelpackung. Da gibt es für die Leser nämlich nicht viel nachzudenken. Sie werden mit einer geballten Ladung an sprachwissenschaftlichen Fakten knapp an den Rand der Langeweile gebracht, die der Autor mit offensichtlich humorig gemeinten Einschüben auf Stammtischniveau zu vertreiben versucht. Ein wesentliches Element für Denksport fehlt jedoch: In diesem Buch werden keine Fragen gestellt, die zum Nachdenken anregen könnten. Wie soll das auch funktionieren, wenn da einer schreibt, der schon alle Antworten kennt?

Details

  • Autor*in:
  • Verlag:
  • Genre:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    09/2016
  • Umfang:
    336 Seiten
  • Typ:
    Taschenbuch
  • ISBN 13:
    9783423261340
  • Preis (D):
    17,90 €

Bewertung

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