Der Buddhismus erfreut sich schon seit Jahrzehnten großer Beliebtheit. Die Neuerscheinungen zu diesem Thema werden immer zahlreicher. Doch dieses Werk ist ein ganz besonderer Schatz. Anne Siegel gibt uns hier Einblicke in die Welt des tibetischen Buddhismus, von dem man alleine des Dalai Lama wegen schon einmal gehört hat. Der Fokus liegt auf Frauen im tibetischen Buddhismus - ihr Augenmerk gilt einer ganz besonderen Nonne, Kelsang Wangmo.
Der tibetische Buddhismus ist sehr komplex in seiner Tradition und der Ausbildung seiner Gelehrten. Es gibt verschiedene Linien des tibetischen Buddhismus, auch weibliche. Doch es ist sehr viel auf der Flucht aus Tibet verloren gegangen. Das ist mit ein Grund, warum es im tibetischen Buddhismus keine Ordination für Nonnen gibt. Also bleiben die Nonnen Novizinnen und es bleibt ihnen weitere Möglichkeiten zum Lernen und Lehren verwehrt.
Was man vom Buddhismus nicht erwarten würde ist, dass es auch hier keine Gleichberechtigung der Geschlechter gibt. Dass hier die Männer dominieren war aber schon immer so, dennoch hatten Nonnen in Tibet früher mehr Rechte als anderswo. Nach der Flucht haben die Exiltibeter in Indien jedoch sehr an dem festgehalten, was sie von ihrem Glauben retten konnten. Jeglichen Veränderungen stehen sie daher skeptisch gegenüber. Doch seit einigen Jahrzehnten gibt es vereinzelte Frauen, die eine Reform in Gang gesetzt haben, die bereits die ersten Früchte trägt.
Kelsang Wangmo ist eine dieser Frauen. Die gebürtige Deutsche wollte nach ihrem Abitur in den 80er Jahren die Welt bereisen und landete in Indien. Auf ihrer Reise begegnete ihr erstmals der Buddhismus. Als sie in Dharamsala ankam entschied sie sich dafür am Institut für Buddhistische Dialektik zu studieren. Als einzige Frau in einer Klasse voller Mönche war es oft schwer. Doch nach fast zwei Jahrzehnten wurden ihre Mühen belohnt. Als erste Frau bekam sie im Jahr 2011 den Geshe-Titel verliehen. Das entspricht in Europa einem Doktorgrad der Theologie. Das war ein sehr wichtiger Meilenstein für die Entwicklung der Nonnen. Kelsang Wangmo berichtet in einem Gespräch mit der Autorin Anne Siegel und auch in einem Auszug aus einer ihrer Unterweisungen von den Hürden und den Glücksmomenten auf ihrem Weg, aber auch allgemein vom tibetischen Buddhismus und den Veränderungen, die gerade im Gange sind.
Auch andere wichtige Damen des tibetischen Buddhismus kommen hier zu Wort. Anne Siegel und Bhiksuni Jampa Tsedroen, eine buddhistische Nonne aus Deutschland, führen ein Gespräch über die Frauen im modernen Buddhismus. Bhiksuni Jampa Tsedroen hat als Gründung- und Vorstandsmitglied der internationalen buddhistischen Frauenorganisation viel zu erzählen und hat wesentlich zu den aktuellen Veränderungen beigetragen.
Als letzte kommt Jetsunma Tenzin Palmo zu Wort. Die britische buddhistische Nonne hatte ebenfalls eine bedeutende Rolle bei der Emanzipation der Frauen im Buddhismus. Sie erzählt hier über das geheiligt Weibliche im tibetischen Buddhismus, womit meistens Buddha Tara gemeint ist, die mancherorts im Buddhismus beinahe wie eine Göttin verehrt wird.
Zu guter Letzt gibt uns die Autorin Anne Siegel “Zehn praktische Übungen, um ein besserer Mensch zu werden” mit auf den Weg. Inspiriert von so viel Frauenpower ist das ein guter Abschluss des Buches und eine gute Möglichkeit auch etwas Weisheit in unseren Alltag zu integrieren.
Autorin Anne Siegel ist in vielen Metiers unterwegs. Sie ist sowohl Journalistin und Filmemacherin als auch Drehbuchautorin und Hörbuchautorin. Nach der Lektüre von “Die Ehrwürdige” kann man auf jeden Fall sagen, dass sie als Autorin ausgezeichnete Arbeit leistet. Anne Siegel schafft es ein so vielschichtiges Thema wie den tibetischen Buddhismus und die Nonnenordination kompetent und mit viel Wissen darzustellen. Man merkt beim Lesen eine Leidenschaft, die vermuten lässt, dass sie sich schon seit Langem damit beschäftigt. In den Gesprächen mit Kelsang Wangmo und Bhiksuni Jampa Tsedroen stellt Anne Siegel viele kluge Fragen, die immer tiefer in die Thematik führen. Der Anspruch beim Lesen ist daher relativ hoch. Das Werk ist weit entfernt von jeglicher Oberflächlichkeit. Dennoch schaffen sie und die buddhistischen Nonnen es alles so klar so formulieren und zu erklären, dass selbst jemand ohne große Vorkenntnisse einen kurzen Einblick bekommt in das Leben als Nonne, den tibetische Buddhismus und die alten Traditionen.
Es ist spannend von diesen mutigen Frauen zu lesen, die schon seit Jahrzehnten für die Rechte der Frauen im Buddhismus kämpfen und es mit viel Geduld und Hingabe schaffen, die “knöchernen Strukturen” der Tradition - wie es im Buch heißt - aufzubrechen und den tibetischen Buddhismus auf die nächste Stufe seiner Entwicklung zu heben. Sowas hätten eindeutig auch andere Religionen nötig.
“Die Ehrwürdige” ist ein sehr informatives Buch über die Rolle der Frauen im tibetischen Buddhismus und deren aktuelle Entwicklung. Es sowohl für die, die interessiert an Biografien außerordentlicher Persönlichkeiten sind als auch für jene, die sich für Buddhismus und/oder Frauenrechte interessieren. Ein absolut empfehlenswertes Buch, das nicht nur Wissen vermittelt sondern auch als Inspiration dienen kann, was alles möglich ist, wenn man sich dafür einsetzt.
Details
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Sprache:Deutsch
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Erschienen:09/2017
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Umfang:240 Seiten
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Typ:Hardcover
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ISBN 13:9783710900099
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Preis (D):22 €