Nur die Liebe fehlt


Von Depression nach der Geburt und Müttern, die ihr Glück erst finden mussten
von Petra Wiegers
Rezension von Katrin Hof | 08. November 2016

Nur die Liebe fehlt

Die Vorstellung, dass eine Mutter ihr Kind nicht lieben kann, löst Verständnislosigkeit und Bestürzung aus. Selten wird daran gedacht, wie sich die betroffenen Mütter fühlen und worin die Ursachen liegen. Scham- und Schuldgefühle sowie die Angst vor Stigmatisierung bringen sie solange zum Schweigen, bis die postpartale Depression ihr Leben unerträglich macht. Mutig, ehrlich und ergreifend nähert sich die Journalistin Petra Wiegers in ihrem Buch „Nur die Liebe fehlt“ diesem tabuisierten Thema an und gibt einen Einblick in die Lebenswelt von Betroffenen.

Jede schwangere Frau hat den sehnlichsten Wunsch, eine perfekte Mutter für ihr Kind zu sein. Die glorifizierte Bezeichnung der „Übermutter“ entspricht oftmals den hohen Erwartungen, die die werdenden Mütter haben. Das Idealbild ist perfekt eingebettet in eine heile Welt. Das Kind wird mit bedingungsloser Liebe überschüttet, wächst wohlbehütet auf, während sich die Mutter unermüdlich, mit Superkräften ausgestattet, um Nachwuchs, Familie, Haushalt und Karriere kümmert. Gleichzeitig findet sie sich in ihrer Rolle als Mutter, Ehe- und Karrierefrau wieder und kommt damit bestens zurecht. Aber ist das wirklich die Realität oder nur ein verstaubter Mythos?
Journalistin Petra Wiegers führte Gespräche mit Frauen, die von diesem skizzierten Idealbild abweichen. Es sind Mütter aus unterschiedlichen sozialen Schichten, die nach der Geburt aus individuellen Gründen keine Empfindungen für ihr Kind haben und ihre Mutterrolle erst entfalten mussten. Die vier Lebenswelten, die in diesem Buch beschrieben werden, verdeutlichen nicht nur, dass es jede Frau treffen kann, sondern zeigen auch auf, dass sich der Krankheitsverlauf der postpartalen Depression so individuell gestalten kann wie die Symptomatik selbst. Neben den vielen Facetten der psychischen Erkrankung, die von einer körperlichen und psychischen Erschöpfung bis hin zum ausweglosen Suizid reichen, schildern die Frauen ihren schmerzvollen Weg durch die Depression. Dabei erfährt der Leser, welche Faktoren die Entstehung der Krankheit begünstigen und wie sich diese auf das gesamte Familiensystem auswirken kann. Dass der Weg zwar lange, aber die erlittenen Wunden gut heilbar sind, bestätigen die therapeutischen Maßnahmen und einzelnen Unterstützungsmöglichkeiten, die den Frauen geholfen haben, wieder ins Leben zu finden. Den psychotherapeutischen Kontext dazu liefert Psychiaterin Susanne Simen mit fachlich kompetenten Stellungnahmen zu jeder einzelnen Geschichte.

Petra Wiegers journalistisches Gespür für das Thema postpartale Depression, das in die Gesellschaft gerückt werden muss, trägt zur Enttabuisierung bei. „Nur die Liebe fehlt. Von Depression nach der Geburt und Müttern, die ihr Glück erst finden mussten“ ist ein schonungslos ehrliches und aufwühlendes Buch für Betroffene und Angehörige, aber auch interessierte Leser, die mehr über die Hintergründe dieser Krankheit erfahren möchten. Eindrucksvoll klärt es darüber auf, was in den Müttern vorgeht, die ihr Kind nicht lieben, und welche Auslöser die Erkrankung verursachen. Authentisch und überzeugend erzählt die Autorin von ihren ersten Begegnungen mit den Müttern, ohne dabei zu verschweigen, dass sie dabei von Vorbehalten und Verunsicherung begleitet wurde. Trotz professioneller Distanz gelingt es der Autorin die Geschichten der betroffenen Frauen tiefgehend, offen und nachvollziehbar in den Vordergrund zu rücken. Sie hüllt keinen weiteren Mantel über das lange Schweigen der Mütter, sondern gibt ihnen eine Stimme. Niemand anderer kann besser erklären, wie das Leben mit einer postpartalen Depression verläuft als die Betroffenen selbst. Gleichzeitig wird auch die tragende Rolle der Väter berücksichtigt. Die bewegenden Erfahrungsberichte sowie die professionellen Fachanalysen erörtern den Leidensdruck und ermutigen Betroffene, die möglichen Lösungsansätze in Betracht zu ziehen und den Mantel des Schweigens abzulegen.

„Nur die Liebe fehlt“ ist ein nahe gehendes, enthüllendes Buch, das bewegt. Mutig und offen erzählen darin vier Mütter über ihr Leben mit einer postpartalen Depression und den Schatten, die diese Erkrankung auf ihren Alltag wirft. Der Leser erhält einen umfassenden, berührenden Einblick in das Krankheitsbild sowie seine Auswirkungen auf das soziale Umfeld und zukünftige Leben. Enttabuisierend, ermutigend und aufklärend soll dieses Buch Betroffenen und Angehörigen zu lösungsorientierten Schritten verhelfen.

Details

  • Autor*in:
  • Verlag:
  • Genre:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    09/2016
  • Umfang:
    180 Seiten
  • Typ:
    Taschenbuch
  • ISBN 13:
    9783843606981
  • Preis (D):
    16,99 €

Bewertung

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