Kriegstagebuch 1914-1918

von Ernst Jünger, Helmuth Kiesel (Hrsg.)
Rezension von Manfred Weiss | 04. Januar 2020

Kriegstagebuch 1914-1918

Die Schützengräben des Ersten Weltkrieges: Gewalt und Sterben, Stolz und Kampfeslust, Verzweiflung und Resignation ebenso wie Langeweile und Orientierungslosigkeit im Gewirr der Kriegsschauplätze. Auch ein Jahrhundert später sind sie immer noch relevant und immer noch ein erschütterndes Mahnmal.

Ernst Jünger hat in seinen Kriegstagebüchern 1914-1919 genau und ausführlich seine Zeit an der Front während des Ersten Weltkriegs dokumentiert. Die Tagebücher waren dann auch Grundlage für den autobiografischen Bericht „In Stahlgewittern“, den Jünger 1920 veröffentlicht und dann im Lauf der Jahre mehrmals überarbeitet hat. Neben den eigentlichen Tagebüchern wird das Buch noch mit einem ausführlichen Essay abgerundet, in dem in kompakter Form die Geschichte Ernst Jüngers im Ersten Weltkrieg zusammengefasst wird. Ein Nachwort, das ebenso oder vielleicht sogar noch besser als Vorwort geeignet wäre.

Von Schützengräben ...

Die fünfzehn handschriftlichen Tagebuchbände Jüngers sind in dem Buch penibel transkribiert. Jede Streichung ist ebenso einzeln vermerkt – verfügbar auch mit dem Hinweis auf den gestrichenen Wortlaut – wie jeder Seitenumbruch. Auch alle Zeichnungen, die Jünger immer wieder in den Text eingearbeitet hatte sind gewissenhaft dokumentiert und eingepflegt. Abgesehen vom eigentlichen Faksimile hält man also den Originaltext in Händen.
Es stellt sich aber natürlich sofort die Frage, wie weit eine so akribische, tagebuchbasierte Darstellung des Ersten Weltkrieges heute noch relevant ist. Und sie scheint es sehr zu sein. Teils weil Jünger in dem Tagebuch sehr eindringlich seine Beweggründe für sein Handeln schildert. Und das sind die Motive eines jungen Menschen, der seinen Platz in Geschichte und Gesellschaft sucht. Auch wenn der Erste Weltkrieg natürlich eine extreme historische Umwelt darstellt, scheinen manche Überlegungen und Motive mit sich und seiner Zeit als junger Mensch umzugehen unverändert zeitlos.
Viele der Einträge sind ungewohnt trivial, seien es genaue Aufzeichnungen wann der Kaffee gebracht wurde, Tagespläne zum militärischen Drill oder Einschlaf- und Aufwachzeiten. Andere Einträge wieder sind von erschütternder Brutalität und Abgestumpftheit, etwa wenn brutale Verletzungen oder grausam zerfetzte Leichen mit fast distanzierter Sachlichkeit beschrieben werden. Aber diese ungeschminkte Dokumentation war natürlich genau das was Jünger beabsichtigt hatte.

... und Überleben

Die Tagebücher wechseln auch immer wieder zwischen journalistischem Wiedergeben von Begebenheiten und fast schon belletristischem Aufbereiten einzelner Szenen. Man ahnt darin bereits, dass die Aufzeichnungen abschnittsweise schon zu mehr als zu bloßer Dokumentation in Form eines Tagebuchs beabsichtigt waren. Dieser wiederkehrende Wechsel ist auch ein Teil des Reizes des Buches. Natürlich ist bekannt, dass Jünger am Ende dem grausamen Schlachten des ersten Weltkrieges mehrfach verwundet, aber lebend entkommt. Trotzdem folgt man immer wieder mit Spannung einzelnen im Detail beschriebenen Patrouillengängen oder Wegen durch die Schützengräben von Verdun oder der Somme.
In den Tagebüchern oder auch in „In Stahlgewittern“ eine Verherrlichung von Krieg und Heldenmut zu sehen, scheint indes beim Lesen des grausam realistischen Berichtes nahezu unmöglich. Die Aufzeichnungen machen einen eher darüber Nachsinnen, wie ein ähnlicher Bericht heutzutage aussehen würde, wo das Schreibgerät vielerorts durch die Kamera des Mobiltelefons ersetzt worden ist.

Die Kriegstagebücher Ernst Jüngers sind ein nicht immer einfach zu lesendes aber trotzdem hochrelevantes Buch für alle, die sich für die Geschichte des Ersten Weltkrieges interessieren. Es gibt dabei kein davor oder danach, sondern im eigentlichen Tagebuchteil lediglich die ungeschminkte Darstellung des Krieges aus der Perspektive eines Einzelnen. Wer mehr die kompakte und durchgängige Form der Erzählung sucht ist aber sicher mit „In Stahlgewittern“ oder Erich-Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“ besser bedient.

Details

Bewertung

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  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Gewalt: