Kunst in Wien 1898 - 1918

von Peter Vergo
Rezension von Stefan Cernohuby | 08. September 2015

Kunst in Wien 1898 - 1918

Eine der schwierigsten Aufgaben ist es, Entwicklungen und Strömungen in der Kunstgeschichte voneinander zu isolieren, voneinander abzugrenzen und sie zeitlich exakt einzuordnen. Gerade im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts gab es interdisziplinäre Kunstströmungen, die man nur schwer entwirren kann. Peter Vergo, Dozent in Cambridge, versuchte das bereits vor 40 Jahren. Doch zum ersten Mal ist das Werk „Kunst in Wien 1898 – 1918“ nun auch in deutscher Sprache erhältlich.

Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ist mit Wien eine Weltstadt im Umbruch. Trotz zahlreicher konservativer Strömungen kann die Moderne aus dem Alltag nicht mehr ferngehalten werden. In Kunst, Gesellschaft und Stadtbild ist Veränderung aber etwas, das sich oft sehr schwierig gestaltet. So ist es kein Wunder, dass sich als Gegenströmung zum traditionsbewussten Wiener Künstlerhaus eine Abspaltung entwickelte. Abspaltung heißt Secession, und genau diese entsteht geleichermaßen als Bewegung wie als Gebäude – denn ihr Ausstellungshaus ist auch heute noch eine wichtige Attraktion.
Der Autor beschränkt sich aber nicht darauf, die wichtigsten Vertreter dieser Strömung zu erarbeiten, sondern hat sich ein weit ehrgeizigeres Ziel gesteckt. So behandelt das Buch nicht nur Klimt, Kokoschka, Gerstl und Schiele, sondern versucht, interdisziplinäre Verbindungen zu ziehen. Von der Malerei über die zeitgenössisch „moderne“ Musik und ihre Vertreter wie Mahler oder Schönberg bis hin zur Vertretern prägender Gestalter der Architektur, allen voran Otto Wagner und Adolf Loos. Auch stets präsente Schriftsteller wie Karl Kraus werden mit einbezogen, da damals viele der Erwähnten in den gleichen Kreisen verkehren, einander persönlich bekannt sind und einander in Frage stellen. Hier wird auch dargestellt, wie hart und kritisch Wien mit all seinen großen, revolutionären Köpfen umgegangen ist. Man denke hier nur an Mahler und seine Trennung von Wien, an die ständige Kritik an Loos‘ Haus am Michaelerplatz oder auch die permanenten Anfeindungen von Gustav Klimts Malerei, beispielsweise durch Herman Bahr.

Das Werk versucht nicht nur den Zeitraum 1898 – 1918 zu beleuchten, sondern viele verschiedene Ereignisse, Künstler und Bekanntschaften, gesellschaftliche Strömungen und Reaktionen in einen Kontext zu setzen. Dabei beschränkt er sich jedoch nicht nur auf die Unterstützer der Wiener Secession sondern versucht auch die Gegner in die Erklärung der Entwicklungen einfließen zu lassen. Eine Aufgabe, an der sich das ambitionierte Buch ein wenig übernimmt. Zwar werden die einzelnen Abschnitte über Maler, Architekten und andere Grenzgänger routiniert, pointiert und komprimiert auf den Punkt gebracht, der Gesamtfokus ist allerdings etwas zu weit gefasst. Denn die Grenze was man jetzt zur Secession zählt, obwohl der Künstler sich gegen sie ausspricht, und was als Gegenströmung, obwohl Anleihen an sie verwendet werden, ist zu fließend. Teilweise hat man auch das Gefühl, dass der damals 40 Jahre jüngere Verfasser selbst nicht ganz sicher war. Ein Verdacht, der auch im Vorwort durch den Autor selbst bestärkt wird, da er hier meint, in seiner ersten Auflage zu geradlinige Vergleiche gezogen zu haben, die sich in späterer Folge anders entwickelt hätten. Doch trotz dieser Unbestimmtheit ist das Werk gelungen, da sich die Secession insbesondere durch ein Fehlen von festen Regeln und einer gemeinsamen Struktur auszeichnete und sehr unterschiedliche Kunstrichtungen salonfähig machte. Vor diesem Hintergrund darf auch ein Werk, das diese Zeitperiode näher zu beleuchten versucht, ein gewisses Maß an Unbestimmtheit beinhalten – denn wenn es um Fakten geht, kann man ihm nichts vorwerfen.

„Kunst in Wien 1898 – 1918“ von Peter Vergo ist ein Werk über eine Kunstströmung in einer Weltstadt, das selbige erstmals in deutscher Sprache erreicht hat. Auch wenn das äußerst ambitionierte Vorhaben Malerei, Musik, Architektur und Literatur in allen gegenseitigen und widersprüchlichen Einflüssen für und wider die Wiener Secession abzubilden, nicht völlig gelungen ist, kann man dem Buch dennoch hohen Anspruch attestieren. Und schon allein die Beschäftigung mit einer Zeit- und Kunstepoche im Ganzen lässt einen über den Tellerrand blicken und ahnen, warum man mehr als nur die Größen einer bestimmten Kunstgattung gleichzeitig betrachten sollte.

Details

  • Autor*in:
  • Verlag:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    08/2015
  • Umfang:
    256
  • Typ:
    Hardcover
  • ISBN 13:
    9783944297170
  • Preis (D):
    49,95 €

Bewertung

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