Der außenpolitische Redakteur der Süddeutschen Zeitung und Kenner des "Südens" auf zwei Kontinenten legt nach seinem Buch über Lateinamerika ("Das Ende der Einsamkeit. Was die Welt von Lateinamerika lernen kann.") nun das Pendant zu Europa vor. Der Untertitel ist etwas irreführend, ist es doch genau das fehlende europäische "Wir", das den Ausgangspunkt zu Schoepps Buch bildet. "Oder wie wir Deutschen wieder zueinander finden, wenn wir uns in Zeiten der (Euro)Krise an den sozialen und kulturellen Werten der europäischen Länder im Mittelmeerraum ein Beispiel nehmen" wäre eine adäquatere, aber weniger konsumentenfreundliche Zusammenfassung der These, die sich manchmal deutlich ausgesprochen, meist jedoch nur implizit mitschwingend durch das Buch zieht.
Und die Geschichte geht so: Vor allem aus Deutschland kommen die Signale, dass die durch die internationale Finanzkrise 2008 ausgelöste Eurokrise, nur deshalb nicht zu lösen sei, weil sich ein paar Länder des Südens anders verhalten, als die fleißigen und arbeitswilligen (und -wütigen) Deutschen das gewohnt sind. Da wird dann auch schnell einmal das Versagen von Marktmechanismen in moralische Schwäche übersetzt.[1] Dabei gerieten die Staaten im Süden Europas durch die gemeinsame Währung unter zusätzlichen Druck. Nie war das Geld vor dem Crash von 2008 so billig wie zuvor. Dieser Versuchung des billigen Geldes erlagen im Übrigen nicht nur der "Süden", sondern auch Staaten wie Irland oder Island. (Eine der besten journalistischen Aufbereitungen der Situation im Europa nach der Krise kann man im Buch "Boomerang" von Michael Lewis nachlesen, das 2011 erschienen ist.) Nach Ende der Party war jedoch durch die gemeinsame Währung kein Spielraum für die einzelnen Staaten mehr offen, die Krise mit zuvor bewährten Mitteln zu lösen und die Wirtschaft am Leben zu erhalten. Der Sparkurs wurde allen Ländern gleich verordnet, mit zum Teil verheerenden Auswirkungen auf die Bevölkerung.
In den Interviews, die Schoepp für das Buch vorwiegend in Italien und Spanien geführt hat, klingt oft genug eine gewisse Bitterkeit durch, dass die aus eigener Kraft geschaffene politische (zur Erinnerung: Spanier und Portugiesen schafften ihre Diktaturen friedlich und unaufgeregt ab) und wirtschaftliche Modernisierung der letzten 30 Jahre durch den Sparzwang in kürzester Zeit zunichte gemacht wurden. Und doch: Die Reaktionen der Menschen im Süden auf die Verschlechterung der Verhältnisse ist vergleichsweise besonnen, weil die gröbsten Auswirkungen durch gesellschaftlich verankerte Werte wie "zwischenmenschliche Solidarität und Familienzusammenhalt" (S 14) und die gleichzeitig vorhandene Flexibilität und Veränderungsbereitschaft abgefedert werden. Wie Schoepp anmerkt: "Was wäre hier los, gäbe es zwischen 40 und 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit?" (S 14) Das mag man sich lieber nicht vorstellen...
Das Buch nähert sich der Frage nach der positiven "Essenz" des "Südens" über eine Mischung aus autobiographischem Material, Interviews, Reportagen, prägnanten Kurzanalysen der politischen Entwicklung in den einzelnen Ländern, Analysen klassischer Texte über die Region sowie Literatur aus den jeweiligen Ländern selbst. Das ist auch gleichzeitig die einzige Schwäche des Buchs: Es liest sich stellenweise wie journalistische Resteverwertung. Es bleibt aber trotzdem genug interessantes Material übrig, um den von Schoepp vorgeschlagenen Lernprozess, zumindest bei den Leserinnen und Lesern, in Gang zu bringen.
[1] Kleine persönliche Anekdote dazu, wie tief verwurzelt dieses Denken in Deutschland schon seit längerem ist: Vor ca. 2 Jahren erzählte mir ein junger Finanzbeamter aus Bayern, dass er eigentlich nur mehr Dienst nach Vorschrift mache, weil das in Deutschland eingehobene Steuergeld ohnehin nur "den faulen Griechen" nachgeschleudert würde.
Details
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Sprache:Deutsch
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Erschienen:09/2014
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Umfang:224 Seiten
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Typ:Hardcover
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ASIN:3864890705
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ISBN 13:9783864890703
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Preis (D):17,99 €