Gibt es in Wien eine geheime und ausufernde SM-Szene? Oder was meint Clemens Haipl mit dem Titel seines aktuellen Buchs „Fifty Shades of Wien“? Wie viele verschiedene Schattierungen hat Wien wirklich und wie misst man diese am besten? Wie übersteht man den Wiener Alltag und wo gibt es Besonderheiten im Alltäglichen? Das sind alles Fragen, auf die der Autor eine gewisse Art der Antwort gefunden haben könnte…
Doch zumindest einen Grund für den Titel offenbart der Autor, Kabarettist und Musiker bereits im Vorwort. Er ist ein beinharter Geschäftsmann, der sich auch die potenziellen (Fehl-)Käufe von etwas verwirrten Erotikliebhabern nicht entgehen lassen will. So schreibt er über die Bedeutungslosigkeit des Heldenplatzes, über die Leiden eines Kaffeehausliteraten in der Zeit von WLAN und Smartphones und über die vielen Musiker, die in ihrer Musik zumindest einmal an Wien gedacht haben. Gut gefälschte Statistiken, schrullige Verkäufer und Wiener Dialekt spielen in den meisten Exkursen ebenfalls eine Rolle – letztere beiden ein wenig mehr. Auch beißend ironische Kommentare, selbstkritische Betrachtungen und alltägliche Wunder werden diskutiert. Da wäre der geheime Zählerkastenschlüssel, den jeder haben kann. Eine funktionierende Kaffeekette aus San Francisco, inmitten der Hauptstadt der Kaffeehäuser? Eigentlich seltsam, nicht wahr? Ebenfalls geht es Lokalen und Institutionen an den Kragen. Gerüchte, Halbwissen und Relativierungen sind immer Teil der Texte. Wie war das mit den Toiletten in der Rossauer Kaserne? Und was, wenn Napoleon tatsächlich im „Napoleon“ im 22. Bezirk eingekehrt wäre? Eigene Erfahrungen mit Bürgermeistern, Handybastlern und Ballonverkäufern gehen Hand in Hand mit Geschichten und Geschichte. All das in 50 schattigen Kapiteln. Oder waren es doch 51? Egal, nochmals wird nicht nachgezählt. Wer eine Weile in Wien lebt, den prägt die Stadt. Wer sein ganzes Leben hier verbringt, der wird gezeichnet. Das sagt zwar nicht der Autor des Buches, aber zumindest der Verfasser dieser Rezension. Dementsprechend gibt es Gedankensprünge von allgemeingültigen Themen zu völlig unwichtigen Kleinigkeiten, mit denen man in Wien aber trotzdem ständig konfrontiert wird. Hier geht es ums Rauchen, da um Kinder und die Tatsache, dass früher alles anders war. Besser? Nun, nicht unbedingt. Die Frage der Relevanz drängt sich natürlich auf. Ist das Werk ein weiterer unverzichtbarer Wien-Führer, um fremde Orte, unbekannte Leute und neue Lebensformen in der Kanalisation von Wien kennenzulernen? Sicherlich nicht. Es sind Momentaufnahmen, die geprägt sind durch die Wahrnehmung des „Projekt X“-Urgesteins Clemens Haipel. Etwas, was bestimmt nichts Schlechtes ist. Aber wenn man nicht gerade Wiener ist, den Humor der bekannteren Kabarettisten kennt und vielleicht auch noch mit der einen oder anderen Anekdote, auf die referenziert wird, bekannt ist, könnte einem das Buch nicht unbedingt viel „geben“ – beziehungsweise viel Neues erzählen. Und der altbekannte „Wiener Schmäh“ wird in selbigem auch eher relativiert. Dementsprechend kann das Werk möglicherweise nicht jedem gefallen, obwohl es das gerne möchte.
„Fifty Shades of Wien“ ist nicht nur ein reißerischer Name für ein nicht ganz so extravagantes Buch, sondern ein Werk von Clemens Haipel, der eine Liebeserklärung an die Stadt Wien ausspricht, allerdings eine mit vielen „Abers“. Wer sich auf den Kabarettisten und sein neues Werk einlassen kann, der findet sicher eine Menge Gründe zum Schmunzeln. Gleichzeitig wird es aber viele geben, die mit dem Buch nicht allzu viel anfangen können. Daher ist es für uns solider Durchschnitt, aber nicht mehr.
Details
-
Erschienen:03/2015
-
Umfang:192 Seiten
-
Typ:Hardcover
-
ISBN 13:9783993002091
-
Preis (D):19,90 €