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Vater, Mutter, Staat: Das Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung

von Rainer Stadler
Rezension von Janett Cernohuby | 05. Mai 2015

Vater, Mutter, Staat: Das Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung

"Am Donnerstag und Freitag läuft unsere Messe `BBB - Beruf Baby Bildung...` wirbt die Arbeiterkammer Wien aktuell wieder. Ist das nicht toll, wie Frau (oder Mann) sich schon während der Babypause wieder voll und ganz auf den Beruf konzentrieren kann? Sich darauf vorbereiten, damit die Ausfallzeiten nicht den beruflichen Erfolg stören? Familienfreundliche Politik nennt sich das, wenn Vater Staat alles tut, um Eltern vom Tag der Geburt bis zur Volljährigkeit der Kinder unter die Arme zu greifen. Doch ist diese Politik wirklich so familienfreundlich wie sie verspricht? Rainer Stadler nahm sich dem Thema an und veröffentlichte das Buch "Vater, Mutter Staat: Das Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung".

Uns Eltern von heute geht es wirklich gut. Der Staat stellt uns Kindergartenplätze zur Verfügung, sobald wir uns entschieden, wieder ins Berufsleben zurückkehren zu wollen. (Eine Anmerkung: Während man in Deutschland zwölf Monate Elternzeit bezahlt bekommt, kann man in Österreich zwischen verschiedenen Modellen wählen und bis zu 30 (+6) Monaten in sogenannte Karenz gehen). Die Kinder sind rundum gut versorgt, werden mit Glück noch etwas erzogen und wir können uns wieder voll und ganz auf die Karriere konzentrieren.
Das ist zumindest das, was uns die familienfreundliche Politik vermitteln will. Emanzipation der Frau. Ein Recht auf Gleichstellung. Ein Recht auf Arbeit. In Vollzeit versteht sich. Auch Frauen haben ein Recht auf Selbstverwirklichung. Vorbei sind die Zeiten, in denen Frau im Haus eingesperrt war und sich nur um die Kinder zu kümmern hatte. Jetzt kann sie alles gleichzeitig: einem Vollzeitjob nachgehen, den Haushalt schmeißen und sich noch um das Kind kümmern. Wunderbar, wie doch alles so toll funktioniert, dank familienfreundlicher Politik'.
Eben leider nicht. Kinder sind keine funktionierenden Familienmitglieder. Kinder sind Wesen, die Liebe, Geborgenheit und eine Bezugsperson brauchen. Eine, die auf ihre Bedürfnisse voll und ganz eingehen kann. Keine Pädagogin, die noch fünf andere Kinder betreuen muss, keine gestressten und genervten Eltern.
Politiker reden immer so schön vom Wohl der Familie, doch geht es ihnen wirklich um uns Menschen? Oder geht es ihnen nicht eher um das "Humankapital Mensch", um so wenig Ausfallzeiten wie möglich in der Arbeitsbiografie?

Genau das sind die Fragen, die Rainer Stadler in seinem Buch "Vater, Mutter, Staat" unter die Lupe nimmt. Er ist keineswegs der Ansicht, Frauen gehören hinter den Herd und haben sich nur um Familie und Kind zu kümmern (denn das kann ja auch Mann machen). Doch er ist der Ansicht, dass es Kinder nicht glücklich macht, so früh wie möglich abgeschoben und fremdbetreut zu werden. Jede Mutter die wieder in den Beruf zurückgeht, weiß das auch. Sie bekommt es von den Kindergartenpädagogen direkt oder durch die Blume gesagt, wenn das Kind noch nicht so weit ist. Wenn es unter der Situation leidet und gestresst ist. Und was muss die moderne Mutter tun? Es ignorieren. Abwinken. Den Pädagogen klar machen, dass sie keine Ahnung haben, dass es dem Kind im Kindergarten gefällt. In Wirklichkeit weiß die Mutter sehr wohl, wie schwer es ihr Kind mit dieser Situation hat und wie sehr es leidet. Doch gegen den Beruf und für die Familie darf sich Frau heutzutage nicht mehr entscheiden. Schließlich muss sie für die Rente (in Österreich Pension) vorsorgen. Sie muss emanzipiert sein, modern und vor allem einen möglichst lückenlosen beruflichen Werdegang vorweisen. Übrigens sind auch Ausfälle aufgrund erkrankter Kinder in einigen Regionen kein Thema mehr. Der 'Fonds Soziales Wien' beispielsweise bietet schon seit längerem Berufstätigen die Möglichkeit, ihr erkranktes Kind abzuschieben. Eine nette Haushaltshilfe kommt vorbei und kümmert sich um den Patienten - inklusive Medikamentenverabreichung.
Ist das nicht ein schönes Bild unserer kapitalisierten Familien?
Nein, findet Rainer Stadler mit Recht und schreibt das in seinem Buch sehr deutlich. Er weist auf Missstände hin, erwähnt Langzeitstudien und zeigt die aktuelle Entwicklung in den skandinavischen 'Vorzeigeländern' in Punkto Fremdbetreuung. Keineswegs lesen sich diese Fakten sonderlich schön oder positiv. Überforderte Erzieherinnen, Misshandlungen, Störungen der kindlichen Psyche, Ignoranz der Politiker. Der Autor wählt sehr deutliche Worte, wenn er die aktuelle Situation schildert und den Weg, den Politiker und Industrie derzeit gehen. Dabei schneidet er viele Themen an und tut das obendrein fundiert. Das Buch ist eine Streitschrift, regt zum Nachdenken an. Ist das wirklich der Weg, den wir gehen wollen?

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Am Ende bleibt eine Frage offen: Warum schafft man sich eigentlich Kinder an? Nein, nicht aus Liebe, sondern um den Fortbestand der Menschheit zu sichern. Das könnte man sich zumindest angesichts dessen denken, was Rainer Stadler in seinem Bild zum Ausdruck bringt. Denn bei familienfreundlicher Politik geht es nicht darum, zum Wohle der Familien zu arbeiten, sondern zum Wohle von Industrie und Wirtschaft. Ganz gleich, welcher Coleur die Partei ist.
"Vater, Mutter, Staat: Das Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung". Lesen und darüber nachdenken - mehr können wir an dieser Stelle nicht sagen.

Details

  • Autor*in:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    10/2014
  • Umfang:
    272 Seiten
  • Typ:
    Hardcover
  • ISBN 13:
    9783453280618
  • Preis (D):
    19,99 €

Bewertung

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