Die Akte Whitechapel

von Gabriele Mari, Gianluca Santopietro
Rezension von Stefan Cernohuby | 29. Mai 2011

Die Akte Whitechapel

Es gibt einige Begebenheiten in der englischen Geschichte, welche die Menschen noch für eine unbestimmte Zeitspanne beschäftigen werden. Eine Reihe Ereignisse, die auch heute noch schockieren und zu Spekulationen anregen, waren die Morde von Jack the Ripper. Doch längst beschränken sich diese Taten nicht mehr auf die Literatur, so wurden in andere Medien transportiert. Während Filme und Computerspiele vermutlich jedem geläufig sind, gibt es auch einige Brettspiel-Adaptionen. Das aktuellste ist im Heidelberger Spieleverlag erschienen und trägt den Titel "Die Akte Whitechapel".

Wenn man von London, seinen Sehenswürdigkeiten und der Würde, welche die Stadt ausstrahlt, spricht, dann ist sicher nicht die Rede vom Bezirk Whitechapel im Jahre 1888. Denn abgesehen davon, dass nur wenige Lampen brennen, die Straßen überfüllt und schmutzig sind, kann man überall bittere Armut erkennen sowie Prostituierte, die an jeder Straßenecke stehen. Manche nennen dieses Viertel die Hölle. Und genau hier schlägt Jack the Ripper zu.
Genauer gesagt übernimmt einer der Spieler die Rolle des Mörders. Der Spielplan stellt den Bezirk Whitechapel dar und besteht aus Häuserblocks und Straßen, die mit Zahlenfeldern versehen und mit gestrichelten Linien verbunden sind. Dies sind die Felder und Linien, auf denen sich sowohl Jack the Ripper als auch seine Opfer fortbewegen.
Im Spielverlauf befinden sich zuerst zahlreiche Prostituierte auf dem Spielfeld. Jack, der grundsätzlich unsichtbar bleibt, markiert verdeckt einige als potenzielle Opfer, während die Polizei überlegt, in welchen Vierteln sie verstärkte Präsenz zeigen möchte.
Anschließend wird aufgedeckt, welche der "Unglücklichen" tatsächlich als Opfer in Betracht kommen. Diese werden auf das Spielfeld gestellt. Nun hat Jack die Wahl. Entweder er tötet sofort oder er späht zuvor noch aus, welche der Ermittler tatsächlich solche sind und welche nur "Bluffs". Letztere Aktion bietet allerdings den Polizisten die Möglichkeit, die möglichen Opfer in einen ihnen genehme Richtung zu dirigieren. Dann kommt der Zeitpunkt und Jack schlägt zu...
Das Feld des Mordes wird mit einem roten Plättchen markiert, die Polizisten, die noch nicht enttarnt wurden, werden deklariert und die übrigen Figuren der Unglücklichen werden vom Spielfeld genommen. Die Jagd beginnt. Während Jack die Zahlenfelder entlang eilt und dabei neben seiner Intelligenz noch Kutschen und Laternen benutzen darf, die ihn entweder ein Feld überspringen oder durch einen Häuserblock eilen lassen, haben Ermittler ein anderes Bewegungsmuster. Sie schreiten über schwarze Kästchen, von denen aus sie die Möglichkeit haben, mehrere Zahlenfelder zu überprüfen. Sie können nun alle Felder untersuchen oder aber auf gut Glück eine Verhaftung durchführen.
Jack, der alle seine Züge auf einem verdeckten Blatt notiert, muss wahrheitsgemäß Auskunft geben, ob er sich schon einmal auf dem untersuchten Feld befunden hat oder sich im Fall einer Verhaftung dort befindet.
Ausgelegt ist das Spiel auf vier Runden. Wenn es Jack gelingt, alle Morde erfolgreich durchzuführen und in sein festgelegtes Versteck zu entkommen, hat er das Spiel gewonnen. Schafft er es nicht die Morde auszuführen und rechtzeitig nach Hause zu kommen oder wird er gar von den Ermittlern verhaftet, haben diese das Spiel gewonnen.

"Die Akte Whitechapel", entworfen von Gabriele Mari und Gianluca Santopietro, ist somit ein Spiel, in dem es heißt: "Einer gegen Alle". Um also eine wirklich günstige Spielkonstellation herzustellen benötigt es einen gewieften Jack the Ripper, um die Polizisten möglichst lange an der Nase herumzuführen. Denn wenn es den Mitspielern schon in der ersten Runde gelingt, den Mörder dingfest zu machen, ist das Spiel zu Ende und war letztlich keine Herausforderung. Genau eine solche braucht es aber, um das Ausklingen der Partie würdig zu gestalten. In unserer Proberunde entschied sich das komplette Geschehen mit dem letzten Zug der letzten Runde. Die Ermittler hatten Jack the Ripper eingekreist, gewusst welchen Weg er vermutlich nehmen würde. Letztlich war es eine 50:50-Chance, ob man ihn erwischen würde oder nicht. In diesem Fall hatte Jack Glück und keiner war ärgerlich, weil man wusste, dass es nur Glück gewesen war. Allerdings ist die Frage, ob sich die Chancen für Jack nicht verbessern, wenn es mehr Mitspieler gibt. Denn in unserem Fall wurden die Polizisten unter zwei anderen Spielern verteilt. Diese beiden gingen sehr koordiniert vor und hatten Jack schon mehrmals an den Rand einer Niederlage gedrängt. Doch fünf verschiedene Ermittler könnten möglicherweise im Fall von Uneinigkeit weniger koordiniert vorgehen, wodurch die Chancen zu entkommen weiter steigen. Auch die erweiterten Regeln, um falsche Hinweise zu legen und die Positionen der Ermittler zu vertauschen steigern eher Jacks Chancen. Die einzige Regel, die das Spiel der Polizei erleichtert ist eine Massenfestnahme, also die gleichzeitige Verhaftung auf allen möglichen Feldern. Ob dies allerdings nicht wieder zu viel ist, muss man ausprobieren.
Vergleicht man das Spiel mit "geistigen" Vorgängern wie etwa "Sherlock Holmes", das in etwa das gleiche Prinzip hat, kann man hier schon besser ausgearbeitete Regeln erkennen. Wechselt man sich regelmäßig mit den Rollen von Jack the Ripper und den Ermittlern ab, sollte das Spiel auch längerfristig Spaß machen. Nur die Altersfrage von ab 16 Jahren scheint ein wenig fragwürdig. Ja, es geht darum Morde im Rotlichtmilieu zu begehen, die Polizei an der Nase herumzuführen und ungestraft davonzukommen - zumindest für einen Spieler. Ob dieser allerdings nach dem Spiel gefährdet ist, auf dem Nachhauseweg ein bis zwei Prostituierte zu töten, ist doch eher fragwürdig.
Insgesamt ist das Spiel gut gelungen und empfehlenswert, auch wenn ein erfahrener Jack the Ripper auf längere Sicht ein wenig im Vorteil zu sein scheint.

"Die Akte Whitechapel" heißt die neueste Spielekreation von Gabriele Mari und Gianluca Santopietro. Es handelt sich um ein rundenbasiertes Taktikspiel, bei dem mehrere gemeinsame Spieler gegen einen einzelnen antreten, um Jack the Ripper zu stoppen. Die Kreation ist gut gelungen, auch wenn bei unserem Probespiel einige Vorteile auf Seite Jacks zu sein scheinen. Doch trotz einiger kleiner Negativpunkte weiß "Die Akte Whitechapel" zu überzeugen, sowohl durch Aufmachung als auch durch den Ablauf. Einzig und allein die Freigabe erst ab 16 Jahren scheint ein wenig fragwürdig, selbst wenn man das Thema berücksichtigt.

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Humor:
    Keine Bewertung
  • Spieltiefe: