Ein Käfig voller Narren in Neulengbach
Beitrag von Stefan Cernohuby | 03. Juli 2016
Ein Narr ist nicht nur eine historische Figur oder jemand, den man zum Fliehen auffordert. Es handelt sich um einen Begriff, der sowohl in der Alltagssprache als auch in der Unterhaltungsindustrie angekommen ist. Schon in den 1970er Jahren ist Jean Poirets Theaterstück „Ein Käfig voller Narren“ entstanden, das später durch seine Verfilmung ein noch größeres Publikum erreichte. Und genau dieses Theaterstück wurde von Theresa und Joseph Prammer für die neunten Komödienspiele in Neulengbach ausgewählt. Wir waren bei der Premiere am 2. Juli 2016 dabei.
Das Wetter meinte es nicht gut mit Neulengbach, weswegen man sich dazu entschied, das Stück nicht im Innenhof des alten Gerichts, sondern im Lengbacher Saal aufzuführen. Eine Entscheidung, die sich im Laufe des Abends als richtig erwies, denn was mit Nieselregen und kräftigem Wind begann, wurde später zu einem richtigen Wolkenbruch.
Rund 120 Leute erwarteten gespannt die kulturelle Gegenveranstaltung zum gleichzeitig stattfindenden Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft – und sie wurden nicht enttäuscht. Nach einer Begrüßung von Bürgermeister Franz Wohlmuth und Kulturstadtrat Ferdinand Klimka ging es nach zwei kurzen Szenen, bei denen die Schauspieler im Zuschauerraum erste Akzente setzten, richtig los.
Man findet sich in einer mehr oder weniger typischen Familiensituation wieder. Identitätskrise, Selbstzweifel und Eifersucht führen bei der Tänzerin Chi-Chi zur Eskalation – denn sie weigert sich aufzutreten. Weder „Butler“ Jacob (Klaus Schaurhofer) noch „Ehemann“ Armand Goldmann (Hannes Bickel) können sie davon überzeugen, sich zu beruhigen. Das klingt nach einer relativ normalen Situation? Wäre sie auch, wenn nicht der Butler eine männliche Putzfrau in Frauenkleidern und Tänzerin und Ehefrau Chi-Chi in Wahrheit ein bekannter Travestiekünstler namens Albert (Joseph Prammer) wäre. Obwohl diese kritische Situation nochmals umschifft werden kann, wartet bereits das nächst Drama. Denn Armands leiblicher Sohn Bobby (Bernhard Singer) kommt mit einer großen Neuigkeit nach Hause. Er hat vor zu heiraten. Allerdings ist seine Freundin Barbara „Barbie“ Hager (Natalie Heilinger) die Tochter des äußerst konservativen Politikers Helmuth Hager (Alois Frank), der kurz vor der Wiederwahl steht. Für ihn und seine Frau Luise (Theresa Prammer) steht die eine Heirat nicht zur Debatte. Erst als „Helmi“ durch den skandalösen Tod eines politischen Mitstreiters im Bett einer minderjährigen, farbigen Prostituierten unter Druck gerät, klingt eine weiße Hochzeit der Tochter nach der einzigen Möglichkeit, sich von irgendwelchen Verwicklungen zu distanzieren. Denn schließlich hat ihre Tochter erzählt, dass der Vater ihres Verlobten griechischer Kulturattaché ist. Tatsächlich handelt es sich bei Armand um einen jüdischen, homosexuellen Besitzer eines Travestieclubs – und Bobbys Mutter ist niemand anders als der Travestiestar selbst. So drängt Bobby darauf, Familie Hager zu empfangen und dabei eine völlig normale Familie vorzuspielen. Das folgende Chaos ist vorprogrammiert...
Gerade die Umsetzung eines Stücks wie „Ein Käfig voller Narren“ steht und fällt mit der Besetzung. Neben den beiden Intendanten und Regisseuren Joseph und Theresa Prammer und dem Urgestein Alois Frank sah man dieses Jahr nur neue Gesichter, die sich erst nach wochenlangen Castings herauskristallisiert hatten. Ein Aufwand, der sich gelohnt hat. Besonders Hanns Bickel überzeugt als kongenialer (Lebens-)Partner von Joseph Prammer, der sich sowohl den Allüren seiner „Frau“ als auch mit einer extrem herausfordernden Situation auseinandersetzen muss. Alois Frank nimmt man den Politiker ohne Weiteres ab, insbesondere bemerkenswert ist eine gefühlt viertelstündige Rede, bei der er in bester Politikermanier viel redet aber rein gar nichts sagt. Klaus Schauerhofer muss man ein besonders Lob dafür aussprechen, wie er mit dem gewagten Kleidungsstil des von ihm verkörperten Charakters umgeht – der nämlich ebenfalls gerne ein Travestiestar wäre. Die beiden „richtigen“ Frauenrollen wurden von den beiden Schauspielerinnen Theresa Prammer und Natalie Heilinger sehr überzeugend verkörpert, sie standen allerdings ein wenig im Schatten der männlichen Hauptdarsteller.
Insgesamt war die Inszenierung ein voller Erfolg, der sich den Applaus der Zuschauer voll und ganz verdient hat. Man muss auch den Intendanten und Regisseuren ein großes Lob für den Mut aussprechen, ein Theaterstück, das sich um Homosexualität, Travestiekünstler und gleichgeschlechtliche Patchwork-Familien dreht, vor einem Publikum mit teilweise konservativem Hintergrund zu präsentieren. Denn auch hier durften einige politische Anspielungen nicht fehlen. Ein wenig unangebracht wirkte lediglich die Übergabe von Blumen und Weinflaschen nach der Aufführung. Hier hätte man das Thema des Stücks fortsetzen können und auch den Herren im Frauenkostüm einen Blumenstrauß übergeben können.
Neulengbach kann aber in jedem Fall froh sein, dass Josef Prammer seiner Heimatgemeinde treu bleibt, denn dieses Jahr findet zusätzlich zu den Komödienspielen Neulengbach, die 2016 insgesamt sieben Aufführungen erleben, ab Oktober auch noch eine Schauspielakademie unter Leitung von Theresa und Joseph Prammer statt, bei der interessierte Jugendliche erste Schauspielerfahrungen machen und ihre Talente entfalten können. Auch hier lohnt sich ein weiterer Blick – und der Besuch der Aufführung von „Ein Käfig voller Narren“ ohnehin. Wer bisher noch unverplante Wochenenden im Juli hat, sollte sich die Zeit für einen Abstecher nach Neulengbach nehmen.
Fotos von Michael Seirer Photography