Literatur aus Japan, kurz nach dem 2.Weltkrieg. Abseits von Tradition und Isolation, den literarischen Strömungen der damaligen Zeit verbunden. Und doch auf den Sitten und Normen japanischer Gesellschaft und Kultur fussend. Ein Kollisionskurs.
Ein alter Freund kommt zu Besuch. Der Gastgeber kann sich kaum noch an ihn erinnern. Sie waren gemeinsam in der Volksschule und haben einander danach nicht mehr gesehen. Und ein Freund war er eigentlich auch nicht, sondern in der Schule mehr ein Quäler und Schinder. Jetzt ist er da, macht sich breit und will trinken und reden.
Japanischer Existentialismus
Osamu Dazai, oder Shuji Tsushima, wie der Autor mit bürgerlichem Namen geheißen hat, ist, wenn man den diversen Quellen und auch dem kurzen Nachwort am Ende des Buches folgen mag, einer der bekanntesten und meistgelesenen Autoren Japans. Mittlerweile jährt sich sein Todestag bereits zum siebzigsten Mal, nachdem er sich im Juni 1948, knapp vor seinem vierzigsten Geburtstag, gemeinsam mit seiner damaligen Geliebten im Tamagawa-Kanal in Tokyo ertränkt hat.
Leben und Werk von Osamu Dazai waren von Hoffnungslosigkeit, Leiden und Resignation in einer aus den Fugen geratenen Welt geprägt. Seine Erzählung “Alte Freunde” ist nun neu erschienen und auch mit den eingeflochtenen skizzenhaften Illustrationen gerade mal 40 Seiten lang. Es ist kaum mehr als eine Kurzgeschichte, erstmals im Dezember 1946 in der Zeitschrift Shincho erschienen. Der Inhalt der Geschichte ist verstörend. Der alte Freund, der da auf Besuch kommt ist eigentlich kein Freund, sondern nur gekommen um anzugeben und sich mit dem letzten, wohlgehorteten Whiskey des Gastgebers sinnlos zu besaufen.
Hilflos dem Gast ausgeliefert
Osamu Dazai schildert den Besuch in einer rauen Sprache, der Leser leidet mit dem Gastgeber. Seine gastfreundlich japanische Art liefert ihn hilflos dem Gast aus und treibt ihn mehr und mehr in die Enge. Demütigung folgt auf Demütigung. Lauter und unangenehmer wird der Gast, mehr und mehr vom Alkohol beeinträchtigt. Die in der Ich-Perspektive erzählte Geschichte beschreibt der Erzähler schon von Beginn weg als ”Vorfall”, dem er mehr oder minder ausweglos ausgesetzt ist. Und mit ihm auch der Leser, der das Geschehen unmittelbar aus Sicht des Erzählers erlebt. Mal fürchtet man um die zur Neige gehenden, mühsam angeschafften und für einen anderen Besucher bereitstehenden Whiskey-Vorräte, mal die endgültige Eskalation der Handlung, wenn etwa der ungebetene Gast verlangt, dass der Gastgeber seine Frau herschaffe, damit sie ihnen einschenken möge. “Die Frau soll einschenken! Ruf sie! Wenn die Frau nicht einschenkt, trink ich keinen Tropfen mehr!” Dem Gastgeber ist noch klar, dass er so recht einfach den ungebetenen Gast loswerden könnte und doch gebietet es ihm die Gastfreundschaft den Gast, ungeachtet seines Benehmens, als Gast zu behandeln. Und so bleiben Gastgeber, Gast und Leser Gefangene dieser mehr und mehr absurd anmutenden Geschichte.
Das alles ist mit großer Konsequenz und Gelassenheit, aber auch fataler Ausweglosigkeit erzählt. Die Illustrationen mischen sich in ihrer groben Skizzenhaftigkeit in die Geschichte, tragen aber nichts bei. Wenn japanische Bücher oft kunstvoll manga-artige Illustrationen haben, so weichen die grob hingeworfenen Illustrationen von Susanne Theumer hier völlig ab.
Osamu Dazai ist ein interessanter Autor, der im deutschsprachigen Raum kaum bekannt ist. “Alte Freunde” ist in seiner Kürze und Konsequenz ein guter Einstieg in sein Werk. Es ist wegen seiner Kürze allerdings kein Buch für jemanden, der eine komplexere oder vielschichtige Handlung sucht. Es ist wie eine Miniatur, die einen, wenn auch schnell gelesen, in Gedanken noch lange Zeit weiter beschäftigt.
Details
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Originaltitel:Shin'yu-kokan
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Sprache:Deutsch
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Erschienen:10/2017
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Umfang:56 Seiten
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Typ:Hardcover
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ISBN 13:9783944751146
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Preis (D):18,00 €