Die Hüterin der verlorenen Dinge

von Nicole C. Vosseler
Rezension von Emilia Engel | 18. November 2019

Die Hüterin der verlorenen Dinge

Manchmal gehen Dinge verloren und nicht immer fällt der Verlust sofort auf. Ivy ist eine junge Frau, die all die besonderen Schätze aufliest. Es sind außergewöhnliche Funde - ein präparierter Kugelfisch, ein vergessener Geigenkasten und vieles mehr. All diese Fundstücke bekommen bei Ivy ein neues Zuhause und vor allem eine eigene Geschichte. Doch Ivy hat selbst auch etwas verloren. Ihre Mutter ist spurlos verschwunden und hat damit eine Leere und viele Fragen hinterlassen. Auch dieser Schatz will gefunden werden. Doch gibt es hier etwas zu finden?

Ivy ist eine junge Frau von 23 Jahren. Sie führt ihr Leben relativ zurückgezogen und alleine. Ihr Auge fürs Detail hat sie zum Beruf gemacht. Sie ist eine Expertin im Recherchieren von vergessen geglaubten Fakten. In ihrer Freizeit sammelt sie neben besonderen Worten auch verlorene Dinge, die sie an allen möglichen Stellen aufliest - im Park, in der U-Bahn, an den unmöglichsten Orten. Moe, ein Parkreiniger, ist der einzige Freund den Ivy hat. Mit ihm kann sie über die kleinen Dinge im Leben reden aber auch über die großen und schweren Themen. Wie zum Beispiel das Verschwinden ihrer Mutter als sie zehn Jahre alt war.
Ivys Vater möchte nun nach all dieser Zeit ihre Mutter für tot erklären lassen, um ein neues Leben beginnen zu können. Für Ivy ist klar, dass das nicht das Ende der Geschichte sein kann. Bevor ihr Vater die Sache wirklich durchzieht, will sie erst selbst nach ihrer Mutter suchen. Vielleicht kann sie mit ihrem Talent den Dingen auf den Grund zu gehen, mehr herausfinden, als es damals die Polizei konnte. Zudem kommt es Ivy mehr als gelegen, mit diesem triftigen Grund aus New York zu verschwinden. Denn der Straßenkünstler Jack, den sie erst kürzlich kennengelernt hat, hat sich im Laufe der letzten Wochen zu einem Freund entwickelt und schließlich auch zu etwas mehr. Ivy bekommt es mit der Angst zu tun. Sie kann nicht zulassen, dass sich dieser Mann in ihr Herz schleicht und dann bemerkt, wie kaputt sie in Wirklichkeit ist.
Auf ihrer Flucht vor Jack und der Suche nach ihrer Mutter, reist sie durch das Land zu Verwandten, die sie noch nie kennengelernt hat. Alles nur, um mehr über ihre Mutter zu erfahren. Es ist eine sehr emotionale Reise für die junge Frau. Das erste Mal in ihrem Leben wagt sie sich aus ihrem Schneckenhaus und lernt das Leben erst so richtig kennen. Schließlich findet Ivy einiges heraus - und vieles über sich selbst….

Nicole C. Vosseler hat uns mit “Die Hüterin der verlorenen Dinge” einen besonderen Roman geschenkt. Die Protagonistin ist eine sympathische, junge Frau, die oberflächlich zahm und zufrieden erscheint, doch in ihrem Inneren brodelt es. Als Tochter eines Bestsellerautors und einer umstrittenen Dichterin, trägt sie von Klein auf die Sorge, nie auch nur annähernd so gut sein zu können wie ihre Eltern. Das Verschwinden ihrer Mutter hat immer einen Schatten auf Ivys Leben geworfen, denn bei diesen berühmten Eltern wurde das Verschwinden natürlich in den Medien breitgetreten. Einerseits lastet also auf Ivy die Leere, die ihre Mutter hinterlassen hat, als auch die Tatsache, dass sie nicht wirklich weiß, wer sie ist, wo ihre Wurzeln sind und wo ihr Zuhause ist. All das findet die junge Frau auf der Suche nach ihrer Mutter heraus. Letztlich ist Ivys Reise eine Reise zu sich selbst . Ist das nicht die wichtigste Reise von allen?
Das Kennenlernen von Jack und die weiteren Treffen mit ihm, die zu mehr führen, lassen das Herz der Leser schmelzen. Es mutet fast an, als müsse der Straßenkünstler ganz langsam und vorsichtig ein wildes Tier zähmen. Aber genau das bedarf es vielleicht gerade - denn ein verlorenes und gebrochenes Herz braucht zuallererst Vertrauen.
Doch der Leser soll sich nicht täuschen, denn die Sache mit Jack steht nicht an vorderster Stelle, auch wenn sie ein wichtiger Teil ist.  Der Großteil des Buches fokussiert die Suche nach Ivys Mutter. Es gibt viele interessante Begegnungen und neue Beziehung werden zur bisher unbekannter Familie aufgebaut. Aber auch eine andere Bekanntschaft entwickelt sich zu etwas besonderem. Diese und insgesamt das ganze Buch zeigen, wie verworren das Leben sein kann - und trotzdem das ganze Leben zu einer einzigartigen Erfahrung macht, die man in vollen Zügen bewusst Moment für Moment erleben sollte.

Dieses Buch ist ein mitreißender aber auch ein klein wenig trauriger Roman über eine Frau, die die kleinen Dinge im Leben schätzt und Besonderes findet, wo sonst keiner hinsieht. Es ist eine flüssig und leicht geschriebene Geschichte, die zeigt, dass man seine eigene Geschichte neu oder auch umschreiben kann. Die Reise zu sich selbst lohnt sich immer und am Ende steigt man womöglich wie ein Phönix aus der Asche. 

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