Der Traum des Richters

von Carlos Gamerro
Rezension von Stefan Cernohuby | 27. April 2016

Der Traum des Richters

In verschiedenen Kulturen wird die Bedeutung von Träumen unterschiedlich interpretiert. Im alten China gab es Zhou Gong – einen Gott des Traumes. Auch in der keltischen Kultur gab es dazu ein Gegenstück. Während wir heutzutage Albträume möglicherweise als beunruhigend empfinden, wurden sie in anderen Zeiten und Kulturkreisen als eindeutige Hinweise interpretiert, denen man folgen musste. Von der Macht der Träume berichtet das Werk des argentinischen Autors Carlos Gamerro, „Der Traum des Richters“.

Alles beginnt damit, dass der neu ernannte Friedensrichter der kleinen Siedlung Malihuel Urbano Pedernera einen Traum hat. Einen Traum davon, dass sich einer der Dorfbewohner gegen die Wand seines Hauses erleichtert. Wütend stellt er den Mann am nächsten Morgen zur Rede und brummt ihm eine Strafe auf, die dieser zähneknirschend akzeptiert. Doch das ist erst der Anfang. Die Träume werden verwirrender und vielfältiger, besonders da die Pläne von Don Urbano für den Ort nicht voranschreiten. So träumt er von illegalen Geschäften des Gasthofbesitzers, von drohenden Indio-Angriffen und terrorisiert mit den Deutungen seiner Träume zusehends die anderen Einwohner. Besonders leidet ein Mann namens Rosindo, dessen Frau in den Träumen des Richters zu einer Mätresse wird. Ein Grund, warum er schlussendlich das Dorf verlässt, allerhand Abenteuer erlebt, mehrfach beinahe stirbt und erst nach einer ganzen Weile weiß, warum er zurückkommen kann. Denn der Richter, der immer mehr von seinen Träumen vereinnahmt wird, verliert sich zusehends zwischen Realität und Traum. Ob das seinen Leuten die Freiheit ermöglichen kann, nach der sie sich mittlerweile sehnen?

Der Roman von Carlos Gamerro ist Ende des 19. Jahrhunderts angesiedelt. „Nahe der Grenze“ heißt es – und der Ort, an dem die Geschichte spielt, wird zumindest zu Beginn regelmäßig von Indios überfallen. Ein Ort also, der besondere Bewachung und eine hohe moralische Instanz benötigt, um zu funktionieren. Der Protagonist sieht sich auch als solche und nimmt die Interpretation seiner Träume sehr ernst, um Verbrechen zu sühnen. Von seiner Autorität eingeschüchtert folgen seine Nachbarn seinen Anweisungen. Hier kommt allerdings der kulturelle Aspekt zum Tragen, den man vielleicht nicht ganz so nachvollziehen kann. Denn die Träume einer Person als Realität zu akzeptieren, fiele jedem Leser schwer. Als das erste Aufbegehren im Buch durch den Tod eines Rivalen beendet wird, kippt die Handlung. Die Zusammenhänge werden schwerer zu erfassen, die Gedankengänge des zweiten Hauptcharakters sind verschlungen und unklar. Ein Teil des dritten Abschnitts liest sich wie ein Fiebertraum. Klassische Elemente sind in diesem Werk vereint. Kafkaeske Autoritätsgläubigkeit, Träume als Abgründe und nicht zuletzt auch Wandlung und Maskerade. Leider ist das Werk kein stilistisch durchgängig verfasster Roman. Darüber hinaus lässt der Autor den roten Faden der Erzählung absichtlich ein wenig schleifen und verschleiert das wahre Motiv, das der Leser zwischen den Zeilen erkennen muss. Insofern verlangt das Buch dem Leser einiges ab, um letztendlich nicht vollständig zu überzeugen – zumindest in unserem Fall.

„Der Traum des Richters“ von Carlos Gamerro lässt den Leser in ein argentinisches Dorf im 19. Jahrhundert reisen. Zu einer Zeit und in eine Gesellschaft, in der Träumen große Bedeutung beigemessen wird, passieren schreckliche Dinge – aufgrund derselben. Leider kann das Buch seinen anfänglichen Elan nicht beibehalten, ändert seinen Stil und lässt den Leser am Ende zwar wissend zurück, aber nicht unbedingt völlig zufrieden. Trotz des hohen Anspruchs des Buchs, war unser Gesamteindruck letztendlich nur durchschnittlich.

Details

  • Autor*in:
  • Verlag:
  • Genre:
  • Erschienen:
    09/2015
  • Umfang:
    181 Seiten
  • Typ:
    Hardcover
  • ISBN 13:
    9783902711410
  • Preis (D):
    19,40 €

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Humor:
  • Gewalt:
  • Gefühl:
  • Erotik: