Man stelle sich vor: Ein Autor verfasst eine epochale Saga. Eine Saga die mit Preisen überhäuft wird. Und dann kehrt er Jahre später in dasselbe Universum zurück und behauptet im ersten Kapitel der Geschichte, dass es sich keineswegs um eine Fortsetzung handelt und man nichts über den Verbleib der ursprünglichen Charaktere erfahren würde. Liest man trotzdem weiter? Und ob. Und falls man nachher feststellt, dass er gelogen hat, liest man immer noch weiter? Dann erst recht! Denn schließlich geht es um Dan Simmons und "Endymion".
Der Erzähler der Geschichte befindet sich in einer ungemütlichen Situation. Genauer gesagt befindet er sich in einer Schrödinger-Katzenkiste, nach dem ursprünglichen Paradoxon von außen gesehen weder tot noch lebendig. Doch noch hat kein Giftgas das Innere geflutet, noch lebt er, und schreibt dabei die Geschichte seiner Geliebten Aeana nieder. Es handelt sich um eine Erzählung von einer Frau, die noch als Kind durch die Zeit gereist war, um von ihm gerettet zu werden. Die er einige Jahre heranwachsen sehen konnte, bis er ihr - den komplexen Gesetzen von Reisen durchs All geschuldet - erst wieder begegnet, als sie eine erwachsene Frau ist. Doch sie ist weit mehr als das. In einem Universum, in dem der Pax - eine Entartung der katholischen Kirche, die ihre eigentlichen Werte gegen eine künstliche Art der Unsterblichkeit eingetauscht hat - immer mehr Einfluss gewinnt, ist sie der Gegenpol. Nicht nur, dass sie die Menschen dazu bringt, über sich und das Leben nachzudenken, sie ist auch ein Kind zweier Welten. Denn ihr Vater war der Cybrid des ehemaligen irdischen Dichters John Keats, ihre Mutter eine der Pilgerinnen nach Hyperion. Und das macht sie gleichzeitig auch zu einem Kind des Core - einem Konglomerat aus Maschinenintelligenzen, die in einer Art Zwischenraum jenseits der Realität leben. Mit Aena muss der Erzähler, der den Namen Raul Endymion trägt, zahlreich Abenteuer erleben, die sich nicht immer im zeitlichen Fluss befinden. Und nicht immer ist klar, wer auf ihrer Seite steht. Denn ein Wesen, das ganz bestimmt keinerlei Freunde hat, mischt ebenfalls wieder mit: Das über und über mit Klingen versehene, von manchen als Gottheit angebetete und von der Kirche als Teufel deklarierte Shrike.
Die Handlung eines Romans kann linear aufgebaut werden, verschachtelt, überaus komplex oder gar verwirrend. Wenn man "Endymion" als eines ganz bestimmt nicht bezeichnen kann, dann ist das linear. Alle anderen Begriffe kann man je nach Leser ebenfalls anwenden. Dan Simmons ist es gelungen, ein Werk zu schaffen, das den "Hyperion"-Zyklus würdig fortsetzt. Das uns hier vorliegende Werk enthält die beiden Originalrome "Endymion" und "The Rise of Endymion", somit kann man bei Heyne alle vier Romane des Cantos in zwei Büchern erwerben. Entgegen der Aussagen des Ich-Erzähler im Werk selbst, begegnet man sowohl lieb gewonnenen Charakteren wieder, auch die Intensität der aktuellen Geschichte sucht ihresgleichen, ohne dabei auf Humor zu verzichten. Würde man eine etwas genauer unterteilte Bewertungsskala verwenden, dann wäre "Endymion" ein wenig unter "Hyperion" einzustufen. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass es ebenfalls ein Meisterwerk der Science-Fiction darstellt, das jeder Fan des Genres unbedingt gelesen haben sollte. Denn nicht nur Handlung, Flair und Szenerie sind einzigartig, auch die Ideen, die der Autor mit in sein Werk einfließen hat lassen, sind beeindruckend. Das muss einem die knapp 22 Euro einfach wert sein.
"Endymion" ist das zweite große Epos von Dan Simmons, das man getrost als Fortsetzung oder Teil von "Hyperion" verstehen kann. Auch wenn es im direkten Vergleich nicht ganz standhält, versprechen die vielschichtige Handlung, die Charaktere und vor allem das Setting des Werks dennoch außergewöhnliche Science-Fiction, die definitiv zu den besten Werken des Genres zu zählen ist. Eine Pflichtlektüre für jeden Fan.
Details
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Sprache:Deutsch
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Erschienen:02/2014
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Umfang:1408 Seiten
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Typ:Taschenbuch
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ASIN:3453315170
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ISBN 13:9783453315174
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Preis (D):21,99 €