Spielende Götter

von Alessandra Reß
Rezension von Stefan Cernohuby | 16. Juni 2021

Spielende Götter

Vermutlich ist der Mensch das einzige Lebewesen, das sich über seine Realität Gedanken macht. Doch das hat gute Gründe. Denn einerseits gibt es verschachtelte Gesellschaftskonzepte, die Wahrnehmung verändernde Substanzen und nicht zuletzt auch virtuelle Welten, in denen man sich verlieren kann. Nicht alle dieser Themen kommen im Roman „Spielende Götter“ von Alessandra Reß vor.

Lucie wird jeden Tag in der Schule gemobbt und verprügelt. Das ist zwar nicht in Ordnung, aber dagegen unternommen wird trotzdem nichts. Denn sie ist „nur“ eine Beta Ludens. Also ein Mensch einer zweiten Kaste, die zwar fast alle Privilegien besitzen, aber trotzdem regulär arbeiten müssen. Anders als die Mitglieder der Alpha Ludens. Diese sind die bestimmende Kaste, die den ganzen Tag in digitalen Welten verbringen dürfen und dort zum Herrscher bestimmt sind. Beta Ludens dürfen zwar mitspielen, aber niemals herrschen. Während gewisse Unterschiede zum Himmel schreien, gibt es noch eine Gesellschaftsschicht, die nur niedere Arbeiten verrichtet und nicht einmal zur Schule geht. Diese nennt sich Laborans und aus dieser Schicht hat Lucie auch ihren einzigen wahren Freund, Siard. Als dieser jedoch im Krankenhaus landet, weil er das Mobbing Lucie gegenüber nicht gutheißt, beschließt diese, sich zu revanchieren. Denn was sie in Realität nicht kann, steht ihr in der virtuellen Welt frei. Gegen die mächtigen aufzubegehren. In Homo Ludens, kurz „Holus“, ist sie zwar kein mächtiger Charakter, sie hat jedoch einen Plan. Sie nutzt die Möglichkeit, einen desillusionierten Kriegsheld durch göttliche Intervention auf eine heilige Mission zu entsenden und begleitet ihn als göttliche Gesandte. Denn der oberste Mobber beherrscht sein Reich in Holus mit Hilfe von Dämonen. Als Lucie einen Gefallen einer beinahe gleichaltrigen Alpha Ludens im Spiel einfordert, scheint sich alles so zu entwickeln wie sie vorhatte. Doch sie vergisst beinahe, dass es neben Homo Ludens auch noch die Primärrealität gibt.

Alessandra Reß und Albert Einstein haben sich zwar wissenschaftlich mit unterschiedlichen Themen auseinandergesetzt, beide haben jedoch ähnliche Schlüsse gezogen. Denn Wirklichkeit ist unter bestimmten Bedingungen ebenso relativ wie Raum und Zeit. Während nicht vollends klar ist, wie viele Ebenen die Realität haben kann, muss ihre Protagonistin in „Spielende Götter“ unter anderem feststellen, dass ein Erfolg in einer Spielrealität gleichzeitig zu einer Gefahr in der Primärrealität werden kann. Die Fragilität der eigenen Lebensrealität wird in Frage gestellt und mehr als einmal fragt man sich, wie ein derartiges Gesellschaftskonstrukt eigentlich funktionieren kann. Aber dann tritt man als Leser einen Schritt zurück, denkt über die eigene Gesellschaft nach und ob es da so anders ist – hier hat die Autorin definitiv gute Denkanstöße geliefert.
Die Handlung selbst ist spannend, bietet wenig Möglichkeiten zum Innehalten und durchatmen, egal ob ein Kapitel von die Primärrealität oder um die virtuelle Fantasywelt handelt. Das Konstrukt der Welt klingt simpel, hat jedoch mehr Tiefe, als man zu Beginn erahnt und lässt Leser möglicherweise an einigen Stellen sprachlos zurück. Zusammengefasst ist das Werk ein dystopischer Science-Fiction-Roman, der mit der Realität spielt und allen Genrefans mit Sicherheit zusagen wird.

„Spielende Götter“ ist ein Roman von Alessandra Reß, der im ohneohren Verlag erschienen ist und sich mit virtuellen Welten, Spielen und einem alternativen menschlichen Kastensystem auseinandersetzt – angepasst auf eine Gesellschaft, die in Spielwelten herrschen darf. Eine Mobbingsituation durch die Kasten führt zu einem Aufbegehren, das die Grenzen der Realität überschreitet und das Potenzial hat, Leser zu verblüffen. Dementsprechend kann man das Buch allen Fans von Science-Fiction mit dystopischen Noten wärmstens ans Herz legen.

Details

Bewertung

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