Was haben die Euro 2008, ein Schweizer Frühlingsfest und die Vertreibung einer Minderheit gemeinsam? Auf den ersten Blick scheinbar nichts. Der Schweizer Autor Michael Theurillat versteht es jedoch, diese auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammenhängenden Themen in einem Kriminalroman zu vereinen: "Sechseläuten".
Es ist das Jahr der Fußballeuropameisterschaft in der Schweiz und in Österreich. Doch als der Schweizer Kommissar Eschenbach beim traditionellen Frühlingsfest Sechseläuten seinen Platz auf der Ehrentribüne einnimmt, interessiert ihn die Europameisterschaft nicht weiter. Vielmehr schaut er, wie alle anderen Zuschauer, gebannt dem Scheiterhaufen und Schneemann zu, mit dessen Verbrennung der Winter ausgetrieben werden soll. Doch das Frühlingsfest wird gestört, als plötzlich eine Frau zusammenbricht. Trotz Widerbelebungsversuche Eschenbachs verstirbt diese kurz darauf. Niemand der Umstehenden will einen Grund für den Zusammenbruch gesehen haben. Dabei fällt Eschenbachs Aufmerksamkeit auf einen kleinen Jungen, der verstört in der Nähe der Unglücksstelle steht.
Wie sich bei den späteren Ermittlungen herausstellt, arbeitete die Verstorbene als Sekretärin bei der Fifa. Den hohen Herren ist es wichtig, dass der Fall rasch und am besten ohne Ergebnis abgeschlossen wird. Denn alle Augen sind auf die Fußball-Europameisterschaft und somit auf die Schweiz gerichtet. Doch welche Rolle spielt der kleine Junge? Was hat er gesehen, das ihn nun so einschüchtert? Als dieser endlich sein Schweigen bricht, spricht er in einer Eschenbach unbekannten Sprache. Bei dieser handelt es sich um Jenisch, wie Eschenbachs Sekretärin bald herausfindet. Doch das nützt dem Kommissar wenig, denn er wurde nicht nur vom Fall abgezogen, sondern auch vom Dienst suspendiert. Doch damit ist Eschenbachs Neugier geweckt und er ermittelt auf eigene Faust weiter. Mit der Zeit merkt er, dass es sich um weit mehr dreht, als nur um die Euro 2008.
"Sechseläuten" ist keineswegs ein Fußballkrimi, der mit fast einem Jahr Verzögerung auf dem Buchmarkt erschien. Auch wenn er mit Kapitel wie "Pause", "Erste Halbzeit", "Zweite Halbzeit" einem Fußballspiel ähnlich aufgebaut ist, dreht sich der Kern seiner Handlung um ein ganz anderes Thema. Denn tatsächlich spricht Michael Theurillat in seinem Krimi ein eher trauriges Kapitel der schweizer Geschichte an. Jener der bis 1970 agierenden Vereinigung "Hilfswerk Kinder der Landstraße", welche die Kinder der Volksgruppe der Jenischen zwanghaft von ihren Eltern trennten und in Heime, Pflegefamilien oder Adoptionsfamilien steckten. Erschütternd erzählt er die Geschichte einer Minderheit, die über mehrere mitteleuropäische Staaten verteilt ist und sich bis heute rechtlich benachteiligt sieht. Ihnen und ihren Kindern widmet der Autor sein Buch, welches den Leser sehr schnell in seinen Bann zieht.
Die Handlungsfiguren sind dabei sehr glaubwürdig und sympathisch ausgearbeitet. Kommissar Eschenbach ist niemand, der stur nach Dienstplan und Vorschrift arbeitet. Für ihn ist Gerechtigkeit wichtig und so interessiert es ihn auch nicht, dass er eigentlich von dem Fall abgezogen und sogar vom Dienst suspendiert wurde. Seine Ermittlungsarbeit setzt er dennoch fort, spürt er doch, dass es hier ein Verbrechen gibt, das aufgeklärt werden muss. In welche Richtung dieses aber letztendlich geht, dass kann auch der Kommissar anfangs nicht absehen. An seiner Seite steht seine Sekretärin, die ihrem Chef jegliche Unterstützung gewährt - auch außerhalb des Büros.
Zusammengefasst liegt mit "Sechseläuten" ein spannender und ergreifender Kriminalroman vor, der trotz seines Aufbaus und dem Einbringen der Fifa und Euro 2008 relativ wenig mit Fußball zu tun hat. Tatsächlich spricht der Autor ein düsteres Kapitel in der Schweizer Geschichte an, was dem Roman neben der Spannung auch einen tragischen Aspekt gibt. Daher kann das Buch allen Krimifans empfohlen werden, die in Geschichten auch gerne eine tiefere Bedeutung suchen.
Details
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Sprache:Deutsch
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Erschienen:04/2009
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Umfang:326 Seiten
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Typ:Hardcover
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ISBN 13:9783550087509
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Preis (D):19,9 €