David Hunter

Totenfang

von Simon Beckett
Rezension von Brigitte Halek | 09. Januar 2017

Totenfang

Forensische Anthropologen werden von der Polizei als Berater herangezogen, wenn menschliche Überreste gefunden werden, die zerstört oder stark verwest sind und es den Rechtsmedizinern deshalb nicht möglich ist, die Leichen zu identifizieren. Anthropologen gehen analytisch vor und begutachten, je nach Erhaltungszustand und Vollständigkeit, die biologischen Merkmale an Skeletten, einzelnen Knochen und Knochenfragmenten. Sie erstellen Abstammungsgutachten, Altersdiagnosen und sind unter anderem in der rechtswissenschaftlichen Forschung tätig.

Dr. David Hunter ist forensischer Anthropologe und arbeitet als Forscher an der Londoner Universität. Seine weitere berufliche Laufbahn an der Fakultät ist fraglich. Nach seinem letzten Fall in Dartmoor ist sein Ruf als Berater der Polizei stark geschädigt und er wird nicht mehr zu Mordermittlungen herangezogen. Deshalb ist David erstaunt und überrascht, als er plötzlich zu einem Fall in die Backwaters in Essex gerufen wird. Detective Inspector Bob Lundy, ein älterer, gutherziger und korpulenter Officer, bittet Hunter, bei der Bergung einer Wasserleiche anwesend zu sein. Der Bergungsort ist im Küstengebiet nördlich der Themsemündung, ein unwirtliches Gebiet mit Salzmarschen und verwirrenden Flussläufen. Die stark verweste Leiche war daher massiv Ebbe und Flut ausgesetzt. Die Polizei vor Ort will den Fall schnell abschließen, zumal die Identität des Toten bereits vermutet wird. Leo Villiers, der 31jährige Sohn eines in der Gegend wohlbekannten, reichen Mannes, ist zirka sechs Wochen vorher das letzte Mal lebend gesehen worden. Leo hatte eine Affäre mit der verheirateten Fotografin Emma Darby, die ebenfalls vermisst wird. Sir Stephen Villiers identifiziert die fuß- und handlose Leiche auf Grund der Kleidung als seinen Sohn. Hunter entdeckt jedoch in den Gewässern einen Fuß und beweist mit diesem Fund, dass die Leiche nicht Leo sein kann.
Noch bevor David Hunter das Rätsel um den Toten lösen kann, wird eine weitere Leiche in den Backwaters entdeckt. Diese ist völlig mit Stacheldraht umwickelt und weist massive Traumata auf. Einen Selbstmord oder Unfalltod schließt David rasch aus. Die Ermittlungsarbeit wird immer komplizierter.

Becketts Stärken sind seine Detailgenauigkeit und die Schilderung von Natur und Atmosphäre. Das Marschland, das Kanallabyrinth, das Auf und Ab der Gezeiten und die dichte Beschreibung der Landschaft lassen den Leser virtuell völlig in die Natur eintauchen, Sturm und Regen lassen eine schauerliche Stimmung aufkommen.
Simon Beckett überzeugt in der Darstellung der einzelnen Charaktere. David Hunter ist jener sympathische Protagonist, der akribisch genau arbeitet und eine Koryphäe auf dem Gebiet der Forensik ist. Als Betrachter sieht man ihm förmlich bei der Arbeit zu, ohne dass es sensationslüstern wirkt. Obwohl er von den Bewohnern nicht freundlich aufgenommen wird, lässt er sich nicht vertreiben. Der private David ist ein Mann, welcher den Tod seiner Ehefrau und seiner Tochter nun endlich überwunden hat und sich auf eine neue Beziehung mit Rachel Darby, der Schwester jener vermissten Emma, einlässt. Die romantische Beziehung tritt nicht in den Vordergrund, doch sie bleibt stets präsent. Der Epilog lässt hoffen, dass Rachel in einem weiteren Band wieder eine Rolle spielen wird.
Detective Inspector Bob Lundy und Hunter werden im Laufe des Krimis zum guten Ermittlerduo. Lundys eigene erfreuliche Art, und sein voller Einsatz als Polizist treiben die Ermittlungen voran. Anfangs misstraut er David, doch im Laufe der Zeit berät er sich immer intensiver mit dem Anthropologen.

In diesem Buch ist viel vereint: eine düstere, subtil bedrohliche Atmosphäre, komplexe Mordfälle und Verstrickungen, jede Menge falsche Fährten und überraschende Wendungen, ein sympathischer Protagonist und eine Brise britischen Humors. Der solide Krimi steigert sich zum spannenden Thriller. Der Schreibstil ist überzeugend, einfach, flüssig und detailgenau. Dieser Roman ist ein Muss für jeden Fan von Simon Beckett.

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Bewertung

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