Trümmerkind

von Mechtild Borrmann
Rezension von Janett Cernohuby | 23. Dezember 2016

Trümmerkind

Es gibt Ereignisse in der Vergangenheit, deren Hergang  nicht völlig geklärt wurde. Zu denen es noch immer viele Fragen ohne Antworten gibt. Das bietet Autoren natürlich großartigen Stoff für einen spannenden Roman. Eine Reihe ungeklärter Morde während der Nachkriegszeit inspirierten Mechtild Borrmann dazu, ihren Roman "Trümmerkind" zu schreiben.

Im zerstörten Hamburg der Nachkriegsjahre kämpfen der 14jährige Hanno Dietz und seine Familie ums nackte Überleben. Der Vater ist im Krieg verschollen, die Mutter mit ihren zwei Kindern auf sich gestellt. Hannos Alltag besteht aus Steineklopfen, Altmetallsuchen und Tauschgeschäften auf dem Schwarzmarkt. Ein bitterkalter Winter hat Hamburg 1946/47 fest im Griff. Während einer seiner Streifzüge findet Hanno in den Trümmern eine Tote. Die Frau ist nackt und in ihrer Nähe steht ein dreijähriger Junge. Hanno nimmt ihn mit nachhause und der Kleine wächst bei Familie Dietz auf. Von dem grauenhaften Leichenfund erzählt Hanno nichts.
Unterdessen erfährt in der Uckermark eine Gutsfamilie, die während des Krieges Geschäfte mit den Nazis gemacht hat, was die russischen Besatzer von Regimeanhängern halten. Auch hier wird die Not von Tag zu Tag größer, ebenso wie die Schmähungen durch die Besetzer. Bis die Familie die Flucht nach Spanien antritt, die sie über Hamburg führt.
Doch erst viele Jahrzehnte später bekommt das Trümmerkind die Möglichkeit, etwas über seine eigene Familie zu erfahren.

"Trümmerkind" ist ein spannender und fesselnder historischer Kriminalroman, vor der Kulisse des zerstörten Deutschlands der Nachkriegsjahre. In drei Handlungssträngen erzählt Autorin Mechtild Borrmann die Geschichte zweier Familien, die einander nicht kennen, aber deren Wege sich dennoch kreuzen. Sie führt den Leser in das Hamburg der späten 1940-iger Jahre. Der Krieg ist vorbei, die Stadt liegt in Trümmern und die Menschen kämpfen ums nackte Überleben. Die Autorin greift ein Schicksal auf, wie es damals viele gab. Deutlich spürt man die Verzweiflung der Menschen zu jener Zeit. Die Hoffnungslosigkeit, die Ohnmacht aber auch den Willen, wieder vorwärts zu blicken. Und als wäre das nicht schon genug, scheint auch ein Mörder sein Unwesen in Hamburg zu treiben.
Parallel dazu wird dem Leser ein Gut in der Uckermark während der letzten Kriegsmonate gezeigt. Der Einfall der Roten Armee, Plünderungen, Vergewaltigungen und Willkür der Besatzer verlangen auch hier von den Menschen vieles ab. Die Gutsbesitzer werden enteignet und von ihrem Land verjagt.
Der dritte Handlungsstrang spielt dagegen in die Gegenwart, im Köln in den frühen 1990-iger Jahren. Hier trifft man auf Anna Meerbaum, die auf der Suche nach Antworten ist. Denn ihre alkoholkranke Mutter will partout nicht über die Vergangenheit reden; über das, was sie nach dem Kriegsende erlebt hat und was sie zur Flucht aus Deutschland getrieben hat.
Diese drei Erzählstränge scheinen zunächst nur wenig miteinander zu tun zu haben, doch je weiter die Ereignisse voranschreiten, desto mehr erkennt man den Zusammenhang. Bis schließlich alles ineinanderfließt und ein trauriges und erschütterndes Geheimnis ans Tageslicht kommt.
Mechthild Borrmann baut ihre Geschichte auf den historischen Ereignissen um die Hamburger Mordserie im Winter 1947 auf. Natürlich ist vieles davon Fiktion, doch hätte es sich genau so zugetragen haben können. Großartig schreibt die Autorin ihre tiefgehende Geschichte auf gerade einmal 300 Seiten nieder. Dabei bringt sie eine Fülle an Informationen, Gefühlen und Eindrücken unter, für die andere Autoren wesentlich mehr Seiten gebraucht hätten - ohne dabei spannender zu sein. Alles hat Platz im Roman: Angst vor den Russen, vor der Kälte, vor dem Hunger. Die Sorge nach vermissten Familienangehörigen, wie es morgen weitergehen soll und das schwere Anknüpfen an ein Leben nach dem Krieg.
Die Autorin überzeugt nicht nur sprachlich, sie fesselt ihre Leser auch bis zur letzten Seite und darüber hinaus.

"Trümmerkind" ist ein spannender historischer Kriminalroman von Mechtild Borrmann. Wieder einmal beweist sie schriftstellerisches Können und präsentiert den Lesern einen spannenden und fesselnden Roman. Sie gewährt Einblick ins Deutschland der Nachkriegsjahre, zeigt informativ und voller Empathie, was die Menschen damals auf sich nahmen, um zu überleben. Ein Roman, der bis zur letzten Seite fesselt und zu unterhalten versteht.

Details

Bewertung

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