Zwei Raben

von Andreas Ulich
Rezension von Stefan Cernohuby | 21. Dezember 2015

Zwei Raben

Zwischen Autor und Romancharakter gibt es ein kompliziertes Verhältnis. Denn einerseits ist niemand dem Helden des Buches so nah wie sein Schöpfer, andererseits scheint der Zusammenhang zwischen den beiden nicht immer sofort nachvollziehbar zu sein. So auch bei Andreas Ulich, der mit „Zwei Raben“ nicht nur über eine junge Frau schreibt, sondern sie neben ihrem kulturellen Wirrwarr in ein überraschendes Abenteuer schickt.

Müge Eftal, auch bekannt als Myriam, hat einen ziemlich bescheidenen Job. Sie arbeitet in einem Lokal, für das die richtige Bezeichnung noch nicht erfunden wurde. Weder Restaurant noch Café und schon gar nicht Pub passen. Als ihre einzige große Liebe im Lokal, die Faema-Espressomaschine den Geist aufgibt, ist das ein unscheinbarer Auftakt zu einem erstaunlichen Abenteuer. Während sie sich mit dem Alltag herumschlägt und insgeheim plant, ein eigenes Geschäft zu eröffnen, wird ihr Leben ziemlich durcheinandergeworfen. Nicht nur, dass ihr einstiger Jugendschwarm wieder auftaucht und glaubt sie zu erkennen, während sie selbst ihre Identität verleugnet. Ihre Schwester verliebt sich in einem schmierigen Industriellensohn, der offenbar illegale Geschäfte betreibt. Damit ist er jedoch nicht allein. Irgendwie dürften sowohl Myriams Freund Samuel, als auch ihr mittlerweile verstorbener Vater in diese Verbrechen verstrickt sein. Also nimmt sich Müge ein Herz, vertraut sich ihren Freundinnen an und beginnt auf eigene Faust mit Nachforschungen. Dabei lässt sie zwar kaum ein Fettnäpfchen aus, ist aber nicht von ihrem Weg abzubringen. Türkische Geschichtenerzähler, zwei Raben als Briefkopf und ein Biotop als Ziel einer Reise – sie alle begleiten die unerschrockene und meistens etwas wütende Müge auf ihrem Weg.

Es ist nicht nur bemerkenswert, dass Andreas Ulich seinen Roman aus der Sicht einer Protagonistin erzählt, er tut dies sogar über weite Strecken glaubwürdig. In zum Teil sehr salopper Sprache erwehrt sich die junge Deutsche mit türkischen Wurzeln jeglichem Widerstand. Etwas, was andere Charaktere im Buch oft nur ungläubig mitverfolgen können. Dem Leser geht es nicht anders, trotzdem wirken viele der vorlauten Bemerkungen so glaubwürdig, dass man vermutlich selbst nicht wirklich sinnvoll reagieren könnte, würde man damit konfrontiert. Das macht die Geschichte unterhaltsam und amüsant, obwohl sie letztendlich mehr ernste Themen aufgreift, als man zu Beginn erwartet hätte. Teilweise bleibt dem Leser das Lachen sogar im Hals stecken, während die Protagonistin weiter so agiert, als hätte sie alles im Griff – obwohl sie bis zum Hals in Schwierigkeiten steckt. Das macht das Buch zu einem Erlebnis, auch wenn man nicht alle Konflikte in Vergangenheit und Gegenwart – also von Entführern in Afghanistan bis hin zu plumper Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – wirklich vollständig glauben kann. Darauf kommt es aber nicht an. „Zwei Raben“ ist definitiv ein Buch das überrascht, das sich flüssig liest und das man Lesern, die für Experimente offen sind, durchaus empfehlen kann.

Mit „Zwei Raben“ überrascht Andreas Ulich seine Leser mit einer spannenden, amüsanten und äußerst turbulenten Geschichte über eine junge, türkischstämmige Deutsche. Ausflüge in Gedankenwelten, zu seltsamen Geschichtenerzählern und in eine Vergangenheit voller Gefahren machen das Werk sehr abwechslungsreich. Ein Abenteuer mit Gegenwartsbezug lässt es dann zu einer Kombination aus humorvollem Unterhaltungsroman und Thriller werden. Ein gelungener Spagat, weswegen wir das Buch gerne empfehlen – wenn sich der Leser auf Abenteuer einlassen kann.

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Humor:
  • Gewalt:
  • Gefühl:
  • Erotik: