Zersetzt

von Michael Tsokos
Rezension von Janett Cernohuby | 28. Mai 2016

Zersetzt

Liest man auf einem Buch die Bezeichnung "True-Crime-Thriller", ist die Neugier natürlich sofort geweckt. "True Crime" - was verbirgt sich wohl dahinter? Bereits der Klappentext verrät, dass für die Handlung authentische Fälle und reale Ermittlungen herangezogen worden. Aha, eine Art Kathy-Reichs-Roman also, die in ihre Werke ja auch Fälle aus ihrem Berufsumfeld als forensische Anthropologin einbindet. Doch weit gefehlt, denn die Romane von Michael Tsokos, seines Zeichens Gerichtsmediziner, sind etwas ganz anderes, wovon wir uns erneut überzeugen konnten. "Zersetzt" heißt sein neuestes Werk, das uns zur Rezension vorlag.

Dr. Fred Abel vom Bundeskriminalamt hat alle Hände voll zu tun. Nicht nur, dass auf seinem Tisch ein Mordopfer liegt, dass scheinbar keine Verletzungen aufweist, er einen Fall von Waterboarding mit Todesfolge untersuchen muss, der sich in einem Bundestagsgebäude zugetragen hat, sein Vorgesetzter schickt ihn dann auch noch auf eine Dienstreise nach Transnistrien. Dort wurden in einem Fass mit Löschkalk zwei komplett zersetzte Leichen gefunden, die er nun identifizieren soll. Aus den Überresten der Leichen kann Abel belegen, dass es sich um die beiden Neffen des Oligarchen Stepanov handelt. Doch man erwartet von Abel das "richtige" Ergebnis und schon bald beginnt eine mörderische Verfolgungsjagd.
Währenddessen sitzt irgendwo in einem Kellerverlies in Deutschland eine junge Frau, die von einem Psychopathen misshandelt und vergewaltigt wird.

Michael Tsokos sagte im Zusammenhang mit seinem früheren Roman "Zerschunden", dass die Wahrheit viel härter ist, als es sich Schriftsteller ausdenken können. Und das ist gut so, denn das, was der Autor in seinem "True-Crime-Thriller" einbindet, ist extrem brutal und grausam. Gewalt und Folter ziehen sich durch den Roman und werden sehr detailgetreu beschrieben. Das ist ganz gewiss nichts für schwache Nerven, im Gegenteil. Stellenweise ist es einfach zu viel des Guten.
Die Frage ist, warum man so etwas tut. Um den Lesern zu zeigen, welche unvorstellbaren Dinge geschehen? Das kann man auch auf andere Art tun. Vor allem mit mehr Spannung.
Die Handlung selbst kann nur wenig begeistern und wirkt eher zusammengewürfelt. Sie besteht aus drei Handlungssträngen, die unabhängig voneinander erzählt werden. Der Hauptteil dreht sich natürlich um den Leichenfund in Transistrien. Doch ihm fehlt es bis auf wenige Stellen an Spannung, um den Leser wirklich zu fesseln. Ein zweiter Handlungsstrang ist die Ermittlung rund um den Waterboardingfall. Dieser ist letztendlich nur ein Lückenfüller und nicht mehr als ein Nebenschauplatz. Zu guter Letzt gibt es dann noch die Szenen in irgendeinem Keller, irgendwo in Deutschland. Sie sind wohl die spannendsten Passagen im ganzen Buch, wenngleich ebenfalls äußerst brutal, wird hier eine junge Frau von einem Psychopathen gefangen gehalten und vergewaltigt. Verzweifelt versucht diese sich gegen ihren Peiniger zu wehren und zu fliehen.
Es fehlt im Großen und Ganzen also an Spannung, an einem überzeugenden und fesselnden Plot und an einer tollen Geschichte. Geboten werden stattdessen reale Fälle und Ermittlungen sowie jede Menge Gewalt. Wem letzteres gefällt, der darf hier gerne zugreifen. Wer reale Fälle sucht, für den gibt es gute Alternativen. Beispielsweise Kathy Reichs, die als forensische Anthropologin auch viel gesehen hat und authentische Fälle in ihre Romane einbindet - mit mehr Handlung, Tiefgang und sympathischen Figuren.

"Zersetzt" ist der zweite Roman von Michael Tsokos, der sich um den Rechtsmediziner Dr. Fred Abel dreht. In ihm präsentiert der Autor und Rechtsmediziner wieder reale Fälle und wie brutal unsere Welt sein kann. Der Roman ist definitiv nichts für schwache Nerven und obendrein nicht für jemanden geeignet, der einen fesselnden und spannenden Thriller sucht.

Details

Bewertung

  • Gesamt:
  • Spannung:
  • Anspruch:
  • Gewalt:

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