Melanie Metzenthin im Interview
Beitrag von Janett Cernohuby | 12. September 2011
Zwei charismatische Hauptpersonen, die beide einen schweren Schicksalsschlag hinter sich haben, ein gieriger Burgherr, skrupellose Räuber und eine weitreichende Intrige - das sind die Ingredienzien von Melanie Metzenthins erstem historischen Roman 'Die Sündenheilerin'. Für uns nahm sich die Autorin Zeit und stellte sich unseren Fragen in einem Interview.
Janetts Meinung: Ihr Roman 'Die Sündenheilerin' entführt den Leser in den Harz des 13. Jahrhunderts an das Krankenlager einer psychisch Kranken. Wie kamen Sie auf die Idee dieses Plots?
Melanie Metzenthin: Psychische Erkrankungen gibt es, seit es Menschen gibt. Allerdings hat man sie früher nicht als solche wahrgenommen, sondern eher für Besessenheit gehalten, weil die Menschen sich nicht erklären konnten, warum jemand plötzlich ganz anders reagiert. Oder man glaubte, jemand höre und sehe die Stimme eines Heiligen. Aber auch Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen gab es schon, nur haben die Menschen früher meist die seelsorgerische Hilfe des Pfarrers in Anspruch genommen oder sie gerieten sehr schnell an den Rand der Gesellschaft. Meine Heldin hat selbst ein schweres Trauma erlebt und ist dadurch besonders feinfühlig für die seelischen Leiden anderer geworden. Und so lasse ich sie instinktiv so mit den Leidenden umgehen, wie es heutzutage im Rahmen von Psychotherapie geschieht. Dadurch hat sie die Möglichkeit, einige Rätsel zu lösen, aber auch mit sich selbst ins Reine zu kommen.
JM: In Ihrem Roman spielen ganz facettenreiche und charismatische Persönlichkeiten mit. Lena, die mittelalterliche Psychologin, Philip, ein christlicher Ritter aus Ägypten oder die Räubertochter Thea. Gibt es einen Charakter, der Ihnen während des Schreibens besonders ans Herz gewachsen ist?
MM: Ja, zwei der Nebenfiguren mag ich neben Lena und Philip besonders. Zum einen die rote Thea. Sie ist scheinbar so stark ist, aber im Grunde ihres Herzens sucht sie vergeblich nach Liebe und Zuneigung. Außerdem ist Thea ein Charakter, der nicht auf politisch korrektes Verhalten achten muss, sondern das tun kann, was ein anständiger Held niemals tun dürfte, aber manchmal vielleicht gern täte.
Die andere Figur ist Said. Said ist der einzige Charakter, der völlig ungebrochen ist und gänzlich in sich ruht. Anfangs glaubt man vielleicht, dass Philip der Dominante in der Beziehung der beiden Freunde ist, aber im Grunde ist Said derjenige, der auf Philip achtet und ihn schützt.
JM: Autoren haben meist eine eigene Beziehung zu ihren Charakteren, die sich manchmal etwas anders entwickeln, als ursprünglich angedacht. Ist es Ihnen während des Schreibens geschehen, dass Ihnen ein Charakter auf der Nase herumgetanzt ist oder sich in eine völlig andere Richtung entwickelt hat?
MM: Nein, wirklich in eine andere Richtung hat sich niemand entwickelt. Aber Schwester Margarita hat sich einen großen Platz erobert, der ihr eigentlich ursprünglich gar nicht zugedacht war. Sie hat sich in ihrer unnachahmlichen Art einfach aufgedrängt.
JM: Gab es während des Schreibens eine Szene, die Ihnen selbst besonders gut gefallen hat, oder die Ihnen besonders schwer fiel zu schreiben?
MM: Meine Lieblingsszenen waren die Abenteuer von Philip mit den Räubern oder auch das Turnier. Die gingen mir leicht von der Hand. Anstrengend waren die Psychotherapie-Sitzungen, die Lena mit der Gräfin hatte. Das war fast so anstrengend, wie mit echten Menschen eine Psychotherapie zu machen. Ich hatte einige psychiatrische Kollegen als Testleser – und denen ging es ähnlich – die Sitzungen mit der Gräfin erinnerten sie allesamt an sehr anstrengende Patienten.
JM: Die Handlung des Buches und die darin vorkommenden Geschehnisse werden ausgehend von Lenas Leben und ihrem frühen Schicksalsschlag erzählt. Warum haben Sie sich für die junge Frau entschieden und nicht für Philip Aegypticus, der aufgrund seiner Herkunft sicherlich auch einen fesselnden Handlungsrahmen geboten hätte?
MM: Philip hätte sicher einen spannenden Rahmen geboten, aber wenn ich die Geschichte von Anfang an aus seiner Sicht erzählt hätte, dann hätte ich sein eigentliches Geheimnis, das sich im Buch erst sehr spät offenbart, viel früher offenlegen müssen. Philip hat ja zwei Geheimnisse – das eine mag ein aufmerksamer Leser recht schnell erahnen, aber das eigentliche, das dahinter steckt, kommt ja erst sehr viel später zum Tragen. Es machte mir Spaß, mit seinen Flashbacks zu arbeiten und nach und nach zu entblättern, was er tatsächlich für ein Mensch ist und was ihm passiert ist. Wenn ich die Geschichte komplett aus Philips Sicht erzählt hätte, dann wäre es ein reiner Abenteuerroman geworden, aber die Psychodynamik hätte nicht so viel Raum bekommen können.
Allerdings haben Lena und Philip gleichermaßen Raum und ich habe sehr genau darauf geachtet, dass sie sich in ihren Perspektiven in jedem Kapitel abwechseln. Es war aus verschiedenen Gründen einfacher, mit Lena zu beginnen. Zum einen vom Plot her, zum anderen aber auch, weil es eine Erwartungshaltung vieler Leserinnen gibt, die sich eine weibliche Identifikationsfigur wünschen.
JM: Am Ende des Romans wendet sich zwar alles zum Guten, aber dennoch bleibt das Schicksal von Thea offen. Haben Sie das Ende bewusst so gewählt, da es einen weiteren Roman über Lena und Philip geben wird?
MM: Der Roman ist in sich abgeschlossen. Aber da meine Helden noch mitten im Leben stehen und noch einiges vorhaben, gibt es Spielraum. Ob es einen weiteren Roman über Lena, Philip und die rote Thea geben wird, hängt davon ab, wie gut die Leserschaft den ersten Roman annimmt. Wenn es einen weiteren Roman geben sollte, dann würde der zum großen Teil in Ägypten spielen, denn da gibt es noch ein paar offene Fragen. Und es würde auch Thea nach Ägypten verschlagen …
JM: Sicherlich waren bereits in Ihrer Kindheit Bücher ein Begleiter. Wie wichtig waren diese für Sie und beeinflussen diese auch ein wenig Ihre Arbeit?
MM: Ich habe als Kind viel gelesen – angefangen bei Enid Blyton und Astrid Lindgren, aber auch schon sehr früh Karl May und die klassischen historischen Romane von Sir Walter Scott wie Ivanhoe oder Der Talisman. Am meisten hat mich wohl Karl May beeinflusst, allerdings habe ich mir eines geschworen: Keine seitenlangen Beschreibungen von Figuren, wie er es immer getan hat – die habe ich nämlich immer überblättert. Was mir wichtig ist: Meine Leser sollen in meinen Romanen Spaß haben und sich darin wohlfühlen. Ich persönlich mag keine Romane, in denen übermäßig gefoltert und vergewaltigt wird, aber die Helden alle Grausamkeiten problemlos überstehen, um dann auf der nächsten Seite flott weiterzumachen. Da halte ich es mit Karl May – manchmal ist Gewalt unumgänglich, aber man sollte sie so darstellen, dass man die Leser nicht vor den Kopf stößt und die Helden nicht beschädigt werden.
JM: Wann und wie haben Sie den Spaß am Schreiben entdeckt?
MM: Geschichten habe ich schon immer erfunden. Ich habe schon, bevor ich zur Schule kam, gemerkt, dass mir ein Ausdrucksmittel fehlte, ehe ich schreiben konnte, weil ich einfach nicht gut genug malen konnte. Für mich ist Schreiben im Grunde malen mit Buchstaben und eine eigene bunte Welt zu erschaffen, die unterhält und in der die Leser sich wohlfühlen können.
JM: Jeder sammelt anders seine Inspirationen für Geschichten, braucht eine bestimmte Umgebung oder spezielle Hilfsmittel. Geht es Ihnen auch so? Haben Sie einen Platz, wo Sie am liebsten Schreiben?
MM: Wo ich schreibe, das ist relativ gleichgültig. Aber ich brauche zum Schreiben immer eine passende Musik, die die Stimmung wiedergibt, über die ich gerade schreibe. Ich habe eine umfangreiche CD-Sammlung und z.B. habe ich die Burgbelagerung in „Die Sündenheilerin“ überwiegend zur Filmmusik von Ivanhoe (von Miklós Rózsa) geschrieben.
JM: Werden Sie dem Genre 'Historischer Roman' fürs erste treu bleiben oder planen Sie auch wieder Ausflüge in andere Genres, wie zum Beispiel Fantasy?
MM: Der historische Roman ist mein Genre, aber er unterscheidet sich eigentlich gar nicht so sehr von der Fantasy. Der größte Unterschied ist, dass man für Fantasy deutlich weniger recherchieren muss, weil man sich die Welt selbst ausdenken kann. Vor der Zeit des Internets war es deshalb leichter, Fantasy zu schreiben. Ich habe noch einige unveröffentlichte Fantasy-Manuskripte aus den 90er Jahren in der Schublade, aber ich habe mich inzwischen weiterentwickelt und noch viele Ideen für weitere historische Romane, zumal ich inzwischen auch recherchemäßig in verschiedenen Epochen recht sicher zuhause bin.
JM: Wie sehen Ihre nächsten Pläne und Projekte aus?
MM: Im nächsten Sommer wird mein zweiter historischer Roman „Schicksalsstürme“ im Piper Verlag erscheinen. Er spielt 1428 zur Zeit der Hanse in Heiligenhafen. Ich beschreibe in dem Roman ein tatsächliches historisches Ereignis, das Heiligenhafen 1428 traf, aber aus der Sicht von fiktiven Figuren.
Auf die Idee zu der Geschichte bin ich gekommen, weil Heiligenhafen mein zweiter Wohnsitz ist. Die kleine Stadt gehörte im Mittelalter zur Hanse und unterstand dem Lübecker Stadtrecht. In den Jahren 1420 bis 1435 lag die Hanse mit Dänemark mal wieder im Krieg.
Meine Geschichte beginnt damit, dass ein junger Schiffbrüchiger nach einem Sturm an der Küste Heiligenhafens angespült wird. Der Mann hat sein Gedächtnis verloren und weiß nicht, ob er Däne oder Deutscher ist, denn er spricht zunächst Dänisch, obwohl er ebenso gut Deutsch versteht. Als sich die Stimmen derer mehren, die ihn für einen Dänen halten, gerät er in Lebensgefahr. Und mit ihm auch jene, die ihm geholfen haben – ein Kapitän aus Heiligenhafen und seine Tochter …
JM: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit 'Die Sündenheilerin' und bin auch schon gespannt auf weitere Veröffentlichungen.