In gewissen Medien gibt es Klassiker, an die man im Alltag kaum herankommt. Unter Umständen kommt das auch daher, weil die Form, in welcher das konkrete Werk erschienen ist, nicht mehr existiert. So ist "Calvin und Hobbes" ein Comicstrip, der von 1985 bis 1995 in Tageszeitungen erschien. Nachdem Autor Bill Watterson sich anschließend zurückzog, wurde der Strip erst richtig Kult. Dem widmet sich auch der bei Carlsen erschienene Sonderband "Calvin und Hobbes entdecken - Das große Bill-Watterson-Buch".
Ein Comicstrip ist mehr als ein Comic, mehr als ein einfacher Cartoon. Das versucht bereits die Kuratorin des "Billy Ireland Cartoon Libary & Museum" zu erklären. Daran schließt direkt ein über 40seitiges Interview mit Bill Watterson an, der über seine Jugend, seine Vorbilder, seine Motivation und seinen Werdegang berichtet. 40 Seiten daher, weil es sich um ein Sonderformat handelt, das Comicstrips eher entgegenkommt als geschriebenem Text. Stets von Illustrationen begleitet wird dann nochmals auf eigene Schwerpunkte eingegangen. Was inspirierte den Autor, welche Einflüsse wirkten auf ihn. Ein eigener Ausflug in Frühwerke zeigte einerseits Arbeiten abseits von "Calvin und Hobbes, andererseits die frühe Gestaltung, die sich in einigen wesentlichen Punkten unterschied.
Die wichtigen Figuren der Reihe werden vorgestellt - neben den beiden namensgebenden Helden sind hauptsächlich die Eltern von Calvin, seine Lehrerin und ein Mädchen namens Susi. Die regelmäßigen Attacken von Hobbes, Weltraumabenteuer in Calvins Fantasie, Spezialformate und besondere Ausgaben des Strips werden allesamt anhand von Beispielen vorgestellt. Währenddessen spricht Watterson über die Veränderung des Mediums und der Medien selbst.
"Calvin und Hobbes entdecken - Das große Bill-Watterson-Buch" ist keine Sammlung von Comicstrips, es handelt sich um Fachliteratur. Das ist der erste Fakt, mit dem man sich geistig auseinandersetzen muss, wenn man mit dem Gedanken spielt, das Werk zu kaufen. Es führt einen nicht nur durch die Geschichte eines Mediums, dessen Helden schon viel früher auf den Plan traten. So wie die "Peanuts" von Charles Schulz oder "Krazy Kat" von George Herriman. "Calvin und Hobbes" war nach "Garfield" von Jim Davis einer der letzten Strips, die wirklich große Verbreitung fanden. Darüber spricht er auch in seinem Interview. Über einen langen Kampf mit einer Verbreitungsform, die immer weniger zeitgemäß wird. Er schwärmt von den goldenen Zeiten und äußert sich eher herablassend über Strips, die gratis im Internet verbreitet werden - selbst wenn sie erfolgreich sind, hat er nur ein Lächeln für sie übrig. Leider macht sich Watterson mit jener und ähnlichen Aussagen selbst weder glaubwürdig noch sympathisch. Denn er erklärt sich zu einem sehr faulen Leser, verfolgte laut eigenen Aussagen kaum jemals Realpolitik und hat kaum Vorstellungen, was ihn wieder aus den eigenen vier Wänden hervorlocken könnte. Reichlich vage meint er, es müsste "etwas ziemlich Andersartiges und Unerwartetes" sein.
Calvin und Hobbes behandelt meist Gedanken über das Leben, die Welt, Ungerechtigkeit und Widrigkeiten. Doch der Tiefgang der Strips wird durch die hier angeführten Beispiele nicht wirklich untermauert. Gerade zusammen mit den eher abgehobenen Aussagen des Autors wird das "Entdecken" zu der Grundsatzentscheidung, ob sie es wirklich wert ist, die neue Expedition. In unserem Fall lautet die Antwort "nein". Vielleicht ist das Werk für genauere Kenner des Strips interessant, die auf der Suche nach mehr Hintergrundinformationen und der Motivation von Bill Watterson suchen.
"Calvin und Hobbes entdecken - Das große Bill-Watterson-Buch" ist ein ambitioniertes, analysierendes und gemeinsam mit dem Autor erarbeitetes Werk, das sich an seinen berühmten Comicstrip aus unterschiedlichen Gesichtspunkten annähert. Doch während die Vorgehensweise hervorragend ist, bekommt man das Gefühl, dass hier ein Klassiker entmystifiziert wird. Sowohl durch die Aussagen von Watterson selbst als auch durch den Kontext, wirkt das Gesamtwerk weniger herausragend als zuvor. Daher können wir den Band nur eingeschränkt empfehlen, was aber keinesfalls am Werk selbst liegt. Ob Fan mehr positives mitnehmen können, unterscheidet sich vermutlich von Person zu Person.
Details
-
Erschienen:12/2015
-
Umfang:160 Seiten
-
Typ:Hardcover
-
ISBN 13:9783551763051
-
Preis (D):25 €