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Die Vermessung des Bürgers. Wie Meinungsumfragen funktionieren

von Thomas Petersen
Rezension von Elisabeth Binder | 11. August 2015

Die Vermessung des Bürgers. Wie Meinungsumfragen funktionieren

Nichts kann einen gelernten Meinungsforscher wie Thomas Petersen so auf die Palme bringen wie die Tatsache, dass selbst in gut informierten Kreisen der Stehsatz "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast" jegliche Auseinandersetzung mit den Ergebnissen von Meinungsforschung beendet. Das ist eigentlich schade, denn wissenschaftlich fundierte und abgesicherte Meinungsumfragen sind ein durchaus wichtiges Instrument, um sozialen Phänomenen auf die Spur zu kommen. Was den Personen wie beispielsweise Journalisten, die mit den Ergebnissen von Meinungsforschung beruflich zu tun haben, jedoch oft fehlt, sind geeignete Kriterien um die reichlich vorhandene Spreu vom Weizen zu trennen.

An genau so einem Kriterien- und Qualitätskatalog versucht sich Petersen auf knapp 120 Seiten und ganz "ohne Formeln". Nach einem knappen Kapitel über Sinn und Zweck von Umfragen, nämlich empirische Daten über das "Verhalten der Gesellschaft, die Ziele, Motive und Gefühle der Bevölkerung" (S. 19) zu erhalten und sich nicht auf unfundierte Theorien oder den "gesunden Menschenverstand" zu verlassen, erläutert Petersen zunächst die Prinzipien der Meinungsforschung. Es geht darum, mit optimalem Aufwand eine möglichst präzise Antwort auf eine Fragestellung zu erhalten.

Er widmet den vier wesentlichen Bestandteilen einer fundierten Meinungsumfrage jeweils ein Kapitel und gibt entsprechende Tipps, wie man Qualität erkennen kann. Die Qualität einer Umfrage steht und fällt mit der Qualität ihrer Stichprobe, die repräsentativ und zufällig sein muss. Ist dies nicht der Fall, sind die Ergebnisse nur mit Vorsicht zu genießen. Quantität hat in diesem Zusammenhang wenig Bedeutung, Selbstselektion der Befragten - also so ziemlich jede Online-Umfrage, die gerne von bunten und auch nicht so bunten Blättern selbst gemacht oder zumindest zitiert wird, führt unweigerlich zu Ergebnissen, die zwar eine Meinung abbilden, die aber sicher nicht repräsentativ ist, Deswegen kann sich Petersen auch nicht über den ADAC-"Skandal", die Manipulationen rund um das Lieblingsauto der Deutschen aufregen: diese Wahl ist mit oder ohne Manipulation weit weg von einer repräsentativen Aussage...

Nach der Ermittlung der Stichprobe steckt ein gutes Stück Arbeit im Fragebogendesign, denn: "Nicht Interviewer und Befragte müssen schlau sein, sondern der Fragebogen." (S. 51) Wie sensibel Befragte auf nur geringfügige textuelle Änderungen reagieren können, illustriert Petersen an einigen interessanten Beispielen. Wer also nur an Antworten interessiert ist und sich um die Fragen nicht kümmert, kann leicht in die Irre geleitet werden. Die Welt der Meinungsumfragen ist doch etwas komplexer als Jeopardy.

Ist der Fragebogen fertig, kommt die Befragung im Feld und auch da kann noch mächtig in die Trickkiste gegriffen werden. Pretests, also ein Austesten des Fragebogens mit nur wenigen Befragten, helfen die gröbsten Schnitzer zu vermeiden, die Fragenbogengestalter in etwaiger Betriebsblindheit übersehen haben. Wo es dann wirklich teuer wird und wo sich wahrscheinlich die Spreu vom Weizen trennt, ist die relative geringe Anzahl von Interviews pro Interviewer, um die Beeinflussung von Ergebnissen durch diese Quelle auszuschalten.

Schlussendlich sollten Umfrageergebnisse noch auf Scheinkorrelationen, die Vertauschung von Ursache und Wirkung sowie eine nicht der "Sprache der Zahlen" entsprechende Darstellung der Ergebnisse hin kritisch beleuchtet werden. An dieser Stelle gerät Petersen ziemlich nahe an den zuvor von ihm gescholtenen "gesunden Menschenverstand", mit dem neue oder unerwünschte Ergebnisse wegerklärt werden. Dieses Kapitel gibt ihm auch Gelegenheit, ein paar offensichtliche Steckenpferde zu reiten. Manche Argumente sind in professoraler Altherrenprosa vorgetragen, unschwer zu erkennen am Beispiel der Ursache und Wirkung vertauschenden Erläuterung von Frauenquoten in Vorstandsetagen.

Wie es sich für ein Buch gehört, das den LeserInnen kritisches Hinterfragen von Daten vermitteln möchte, werden Quellen ordentlich zitiert, weiterführende Literatur wird angegeben und die wichtigsten Fachbergriffe sind in einem Glossar zusammengefasst. Leider nehmen gegen Ende des Buches die Rechtschreib- und Tippfehler zu.

"Die Vermessung des Bürgers" ist auf jeden Fall ein zügig zu lesendes Buch, das einen guten Einblick hinter die Kulissen der Meinungsforschung bietet. Vor dem Hintergrund von Big Data und der zunehmenden totalen digitalen Erfassung hat das Bemühen Petersens um kritisches Verständnis von Umfragen etwas von einem Schwanengesang. Es sieht so danach aus, dass die Zukunft den Algorithmen gehört und da wird Nachvollziehbarkeit zur Mangelware.

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