Die Wartenden


Zwölf Kurzgeschichten zu Bildern von Edward Hopper
von Marc Mauguin
Rezension von Michael Seirer | 24. Juli 2019

Die Wartenden

Nur das Licht eines Restaurants erleuchtet die nächtliche Straße und das Geschäft mit seiner leeren Auslage sanft. Im Inneren des Lokals erkennt man einzelne Figuren an der Theke sitzen. Alle in eigene Gedanken vertieft, flüchteten sie vor der fortgeschrittenen Nacht in das Etablissement. Die Licht-und-Schatten-Spiele im Bild und die melancholischen, gedankenverlorenen Blicke der Gäste und des Barkeepers wurden zum Inbegriff von melancholischer Romantik: An diesem Abend kann alles passieren, wahrscheinlich ereignet sich aber genau gar nichts - wie immer.

Edward Hoppers “Nighthawks” aus dem Jahr 1942 ist das bekannteste Werk und ist typisch für seine Gemälde. Marc Mauguin hat zwölf Werke als Ausgangsbasis für seine Kurzgeschichten verwendet und nimmt den Leser in die Welt der Figuren von Hopper mit. 

Die Geschichten wirken wie aus der Zeit gefallen. Eine melancholische Grundstimmung ist in alle eingeworben und auch wenn sie jeweils nur ein paar Seiten lang sind, ziehen sie den Leser sofort in ihren Bann, weswegen man das Buch kaum weglegen kann. Man ertappt sich, wie man immer wieder zum Geschichtenanfang zurückblättern, wo das Bild von Edward Hopper zur aktuellen Geschichte zu sehen ist.

Kennzeichnend für die Werke von Hopper ist, dass menschliche Figuren eine wichtige Rolle spielen, oft auch mehrere, die in bestimmter Art und Weise miteinander kommunizieren. Sie blicken sich an - oder eben nicht. Nie ist für den Betrachter klar, worum es geht. Hopper lässt viel Spielraum und der Betrachter muss sich seinen eigenen Reim machen und die Situation deuten. Oft geht es um verkorkste Leben, Menschen, die sich fragen, wo sie im Laufe ihres Lebens die falsche Abzweigung genommen haben. Einsam wirkende Menschen blicken auf Punkte außerhalb des Rahmens, Paare sehen sich nicht an, sondern vermitteln Distanz, hängen ihren eigenen Gedanken nach. Neben den starken Hell-Dunkel-Kontrasten in den Bildern sind es eben die psychologische Dialoge in den Werken, um die es geht. Nicht umsonst heißt die Version von Gottfried Helnwein des Bildes “Nighthawks” von Hopper “Boulevard of Broken Dreams“. Die dargestellten Orte sind weitgehend unwichtig. Manchmal gibt der Titel des Bildes einen Hinweis. Hell-Dunkel-Kontraste spielen in seinen Gemälden - und im übertragenen Sinn auch in den Texten - eine wichtige Rolle.

Die zwölf Kurzgeschichten bauen sich nicht langsam auf. Schnell ziehen sie den Leser in die oft komplizierte Welt der Schlüsselfiguren hinein. Da geht es um Konflikte zwischen der Mutter und der Freundin des Protagonisten, das kleine Glück einer Sekretärin, welches gnadenlos von einem Macho ausgenutzt wird oder das Wiedersehen zweier Freundinnen aus dem Gefängnis, das anders abläuft als gedacht.

Die starke Atmosphäre der Bilder wird durch die Erzählungen gut aufgegriffen und vertieft. Man hat das Gefühl, dass in der Darstellung von Hopper etwas Wichtiges fehlt. Genau dieses Element wird nun in die Geschichten eingebaut. Eine mögliche Version jedenfalls.

Die Werke von Edward Hopper sind tiefgründig, zeichnen sich durch eine betrübte, traurige Gemütslage aus und lassen sich nicht einfach deuten. Sie fordern den Betrachter geradezu heraus, seine eigene Geschichte in das Bild zu legen. Die zwölf Kurzgeschichten von Marc Mauguin tun genau das und bieten eine Möglichkeit dazu. Dicht geschrieben, an dem betrübten Ambiente des Originals angelehnt, spannen sie einen intensiven und beklemmenden Handlungsbogen über die zwölf Bilder. Wer die Werke von Edward Hopper gerne betrachtet und Deutungen versucht, dem sei das Buch „Die Wartenden“ also wärmstens empfohlen!

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