Viele Fotografen wünschen sich, “bessere” Fotos zu machen. Nur: Wann ist ein Foto “besser”? Gibt es eine Abkürzung zum schnelleren Erreichen von besseren Fotos? Kann man Fotografien objektiv bewerten? Fotowettbewerbe mit Ergebnisreihungen scheinen so einen Ansatz zu bestätigen. “Die Seele der Kamera” von David DuChemin ist ein im dpunkt.Verlag herausgegebenes Buch, das den Versuch wagt Themenbereiche zu identifizieren, die die Entwicklung eines Fotografen unterstützen und den Menschen hinter der Kamera betonen.
David DuChemin ist kein Unbekannter: Der kanadische Fotograf hat unzählige Bücher geschrieben - viele davon sind auch in Deutsch erschienen - publizierte unzählige Ebooks und ist für NGOs auf der ganzen Welt mit Fotoreportagen unterwegs.
“The soul of the camera” ist ursprünglich in Englisch erschienen und beginnt mit: “Wir sind es, die das Menschsein, die Vorstellungskraft und die Poesie in unsere Fotos legen”. Damit ist der Grundtenor des Buches vorgegeben: Es nützt die beste (und doch immer besser werdende Technik) nichts, wenn die entstandenen Bilder keine Geschichten erzählen, die Fantasie nicht anregen oder Empfindungen im Herzen auslösen. Technik ist aber wichtig. Wie ein Handwerker seine Werkzeuge bedienen können muss, so ist die Kamera schließlich das einzige Ausdrucksmittel des Fotografen. Sie zu beherrschen führt zu einem größeren Grad an Freiheit und unterstützt die Vision des Fotografen zu realisieren. Wenn man auf der Klaviatur der fotografischen Möglichkeiten flexibel und sicher spielen kann, kommt das Motiv zur Geltung und wir nehmen genau das Bild auf, das wir innerlich zuvor “gesehen” haben. Als Empfehlung zum Verbindungsaufbau mit den eigenen Gefühlen wird das Tagebuch genannt oder auch das bewusste Stellen von Fragen wie “Worum geht es in diesem Bild und was wäre die beste Möglichkeit, das auszudrücken?”
David DuChemin erläutert sein Verständnis von Capas “Wenn Deine Bilder nicht gut genug sind, warst Du nicht nah genug dran” und Henri Cartier-Bressons “decisive moment”. Im Kapitel “Respekt gegenüber dem kreativen Prozess” geht es dann um die Frage, wie man diesen unterstützen und “beschleunigen” kann. Davor wird in einem Exkurs beleuchtet, ob Originalität ein erstrebenswertes Ziel ist und die Kreativität unterstützt.
Essays zu den Themen Perfektion, Mut, Geschichten erzählen, Kritik und Disziplin legen kurze, aber spannende Gedankengänge des Autors offen und regen zum Nachdenken an. Am Beginn jedes Kapitels wird der wichtigste Satz groß als Statement hervorgehoben. Nach jedem Kapitel finden sich drei bis fünf Fotos des Autors, alle in Schwarz-Weiß und meist nahezu doppelseitig abgedruckt. Die ausgewählten Bilder haben nicht direkt etwas mit dem entsprechenden Kapitel zu tun, sind aber sehr emotiv und eindringlich - besonders die Portraits. Bei keinem Abdruck finden sich Informationen über Blende, Belichtungszeit etc - und das ganz bewusst, weil man selbst darüber nachdenken soll, wie sie entstanden sein könnten. Das passt auch zum Plädoyer des Autors für das bewusste Betrachten von Bildern und eine nicht unbedingt verstandesmäßige Analyse. Weg vom “Oh, das ist aber schön - da drücke ich doch (unreflektiert) like und scrolle weiter” Mechanismus, der sich beim Betrachten von Fotos auf dem Smartphone schnell einstellt.
Viele der angeschnittenen Themen sind nicht neu (wie zum Beispiel das Erwähnen von “The War of Art” von Steven Pressfield), werden aber auf gedanklich neue Art mit anderen Bereichen in Verbindung gebracht. Beispielsweise bei der vielzitierten und überbeanspruchten Aussage “Man muss die Regeln erst kennen, um sie zu brechen” schafft es David DuChemin mit interessanten Gedanken frischen Wind in die Diskussion um die Sinnhaftigkeit fotografischer Regeln zu bringen. In einigen Kapiteln würde man sich mehr Tiefgang wünschen, wie zum Beispiel bei “Die Suche nach der Geschichte”. Das Format, bei dem jedes Kapitel nur aus vier bis fünf Textseiten besteht, führt wohl zu solchen Kompromissen.
Die Beziehung zum Publikum und inwieweit es eine definierende Rolle bei der Erstellung und Auswahl der Bilder hat, beziehungsweise haben sollte, wird ebenfalls thematisiert. In Zeiten von Social Media und der Jagd nach noch mehr Followern und Likes ein immens wichtiges Kapitel. Eng damit im Zusammenhang steht die Tendenz, sich mit anderen Fotografen zu vergleichen und deren Werke argwöhnisch zu betrachten.
Im Buch wird die Kamera durchgängig als technisches Werkzeug beschrieben, das beherrscht werden sollte, um seine eigene Vision realisieren zu können. Erst im letzten Kapitel gibt der Autor dann doch zu, dass er viele seiner Kameras ob ihrer Einschränkungen und Eigenschaften sehr schätzt und respektiert. Das wahre Ziel ist jedoch das Foto und die damit verbundene Geschichte. Warum das Buch dann “Die Seele der Kamera” heißt…
Smartphones und immer besser werdende Kameratechnik entfesseln eine Flut von unzähligen Bildern, die direkt in sozialen Kanälen hochgeladen oder gestreamt werden. Noch mehr (eigene) Bilder zu produzieren, um mit diesen zufriedener zu werden, ist keine sinnvolle Antwort. Nicht noch mehr Bilder, sondern die Qualität muss besser werden, um sich seiner eigenen Vision zu nähern und Fotos vorzeigen zu können, die zum Nachdenken anregen und vielleicht sogar ein kleines Stück weit die Welt verbessern.
Details
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Originaltitel:The Soul of the Camera: The Photographer's Place in Picture-Making
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Sprache:Deutsch
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Erschienen:08/2017
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Umfang:288 Seiten
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Typ:Hardcover
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ISBN 13:9783864904691
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Preis (D):29,90 €