Im Club der Zeitmillionäre


Wie ich mich auf die Suche nach einem anderen Reichtum machte
von Greta Taubert
Rezension von Elisabeth Binder | 05. Oktober 2016

Im Club der Zeitmillionäre

Seit dem Erscheinen von Benjamin Franklins „Advice to a Young Tradesman“ im Jahr 1748 verfolgt uns die unglückliche Mischung aus Physik und Wirtschaft: Zeit = Geld. Wie tief diese Metapher in unser Alltagsleben eingreift, kann man sehr leicht im täglichen Sprachgebrauch feststellen. Verben, die sich mit Geld gut paaren, tun das auch mit der Zeit: die kann verschwendet, verloren, oder gewonnen werden. Nur mit dem Fälschen hapert es noch. Oder vielleicht doch nicht? Leben wir in einem Zeitalter, wo wir um eine ursprüngliche, nicht monetäre Beschaffenheit der Zeit betrogen werden?

Eine ähnliche Frage stellt sich Greta Taubert, eine gefragte Journalistin, die mit ihrem Buch über ihr einjähriges Konsumverzichtsexperiment („Apokalypse Jetzt“) einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, an einem besonders stressigen Arbeitstag. Sie beschließt also, alle Schreibaufträge, Lesungen und sonstige Ansprüche an ihre Zeit freundlich, aber bestimmt, abzusagen. Und sie beschließt alle Unterbrechungen elektronischer Art zu unterdrücken und sich auf die Spur der Leute zu machen, die in der Währung Zeit schwimmen, wie Dagobert Duck im Geldspeicher. Bereits an dieser Stelle macht Greta Taubert eine interessante Entdeckung: Ihr Umfeld reagiert äußerst wohlwollend. Herr F., der „Nicht-nur-Mitbewohner“ findet das richtig gut, ebenso wie die Mutter der Autorin. Lektion Nummer 1: bewusstes (und wahrscheinlich auch zeitlich beschränktes) Aussteigen aus dem Zeit = Geld Paradigma hat seinen schlechten Ruf verloren. Die Sache mit dem Zurückschalten, dem Langsamerwerden liegt also in der spätkapitalistischen Luft.
Die Reise ins Land der Zeitmillionäre beginnt Greta Taubert zunächst einmal mit der Lektüre von „Klassikern der Arbeitsverweigerung“ (S. 22), allen voran mit dem Buch „Das Recht auf Faulheit“ von Paul Lafargue aus dem Jahr 1880. Lafargue kritisiert die „Arbeitssucht“, die im Kapitalismus zur Norm erhoben wurde und forderte den 3-Stunden Arbeitstag. Bezeichnenderweise erschien eine Neuauflage der deutschen Übersetzung im Jahr 2014, die Forderungen von Lafargue haben ihre Aktualität definitiv noch nicht verloren. Nach der theoretischen Beschäftigung mit dem Zeitreichtum und ersten praktischen Übungen, reist Taubert quer durch Europa auf der Suche nach Lebensentwürfen, die sich mit der Optimierung des Zeitreichtums beschäftigen. Standesgemäß beginnt die Reise bei Michael Bohmeyer, der mit seinem Privatvermögen als erfolgreicher Internetunternehmer die Privatinitiative „Mein Grundeinkommen“ ins Leben gerufen hat. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, das die Empfänger von den Fesseln der Lohnarbeit befreien soll und damit sinnhaftes Arbeiten ermöglichen soll, hat Bohmeyer unter genauer Medienbeobachtung im Kleinen in die Praxis umgesetzt. Diese mediale Aufmerksamkeit und die Arbeit rund um die Aufrechterhaltung seiner Initiative bewirken allerdings, dass Bohmeyer wieder rund um die Uhr arbeitet. Danach beschäftigt sich Taubert in Brüssel mit einer Gruppe von Lebenskünstlern mit dem Konzept der Langweile, die im Rahmen der Aufmerksamkeitsökonomie schon fast zu einem Persönlichkeitsdefekt umdefiniert wurde. Die nächsten Schritte im Selbstversuch sind das Ausloten der Kaffeehauskultur (nicht sehr ergiebig im eiligen Deutschland), die Einübung in das einfache Sitzen und Nichtstun. Das übt Taubert zunächst in Marokko (mit Erfolg) und setzt das dann auf einer Parkbank im heimatlichen Leipzig fort. Dort muss sie dann allerdings feststellen, dass diese Art der Zeitvertreibs durchaus auch Unmut erregen kann: eines Tages schüttet ein Bewohner, der sich offensichtlich durch den Zeitwohlstand der Autorin provoziert gefühlt hat, eine Portion Urin aus dem Fenster in Richtung Parkbank. Weiter geht es mit der Begegnung mit verschiedenen Modellen, die sich mehr Zeit durch Wohlstandsverzicht erkaufen. Dazu gehören Tauschringe, real existierende Kommunen und Spreeindianer. Der Streifzug endet mit ein paar praktischen Übungen zum Derive, einem zufallsbestimmten Treibenlassen.

„Im Club der Zeitmillionäre“ ist gut erzählt und die Autorin verliert auch nie ihre Fähigkeit zur Selbstreflexion inmitten ihrer Experimente. Sie zeigt Möglichkeiten von Lebensentwürfen auf, die nicht zu 100 Prozent auf Erwerbsarbeit und Konsum ausgelegt sind. Die bewusste Entscheidung darüber wird im Zuge der immer stärker werdenden Ungleichheiten immer mehr Menschen allerdings abgenommen. Ohne freie Entscheidung funktioniert der Zeitreichtum allerdings nicht, zumindest sucht Greta Taubert Personen in diesen Lebenssituationen nicht auf. Was bleibt an verwertbaren Einsichten für die LeserInnen am Ende des Buchs? Eine Art Zeitmillionärstum „light“: die dann doch sehr schlichte Erkenntnis, dass man durch gelegentliches, bewusstes Treibenlassen in der eigenen Umgebung ein paar schöne und intensive Momente erleben kann, für die man nicht unbedingt Geld ausgeben muss.

P.S.: Die Rezensentin sympathisiert mit der Slow Writing Bewegung, diese Buchbesprechung wurde mit der notwendigen Langsamkeit verfasst!

Details

  • Autor*in:
  • Verlag:
  • Genre:
  • Sprache:
    Deutsch
  • Erschienen:
    09/2016
  • Umfang:
    240 Seiten
  • Typ:
    Taschenbuch
  • ISBN 13:
    9783847906223
  • Preis (D):
    18 €

Bewertung

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