Jeder ist heute Fotograf*in. Mit dem Smartphone in der Tasche wird der gesamte Alltag aus sämtlichen möglichen Perspektiven festgehalten. Die Ergebnisse werden sogleich von AI konformistisch weichgespült und landen im Datennirvana: Entweder sie verschwinden mit dem Ausrangieren des Handys oder verbrauchen in der Cloud Speicherplatz. In beiden Fällen werden Fotografien nie wieder angesehen.
Elfie Semotan zog 1961 nach Paris, um zuerst als Model vor und kurze Zeit später, angetrieben durch ihre Freundschaft mit der Fotografin Sarah Moon, auch hinter der Kamera zu arbeiten. Eine größere Bekanntheit erlangte sie mit ihren Werbekampagnen für Palmers und Römerquelle. Ab Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts arbeitet sie dann auch als Portraitfotografin, beispielsweise für Vogue, Elle, Esquire und Haper’s Bazaar. Sie erlernte das fotografische Handwerk also noch analog und erzählt im Dialog mit Ferdinand Schmatz kurzweilige Geschichten aus ihrem beruflichen Leben.
Die Hälfte der Kapitel drehen sich um Kameras, die Elfie Semotan verwendete: die von ihr so wegen der Farben geliebte Polaroid, die erste Nikon, bei der man alles manuell einstellen musste. Nach der Canon kam die schon schwerfälligere Pentax, eine Mamiya, eine Hasselblad, eine Sinar und eine Leica. Zu jedem Modell beschreibt sie im Dialog welche Eigenschaften sie daran geschätzt hat. Grundsätzlich interessiert sich Elfie Semotan jedoch nicht für Technik und erlernte die Macken der Kameras nur soweit, bis diese taten, was sie von ihnen wollte. Dazwischen finden sich Kapitel, welche sich Begriffspaaren widmen, die eine Art Dualität oder Polarität darstellen: “Wirklichkeit und Möglichkeit”, “Wiederholung und Erinnerung”, “Stillstand und Bewegung”, “Schönheit und Richtigkeit”, “Perfektion und Hakenschlagen”, “Zeigen und Bewegen” und “Schauen und Sehen”.
Für das Verfassen dieser Rezension wurde das Buch gleich ein zweites Mal gelesen - und neue Zusammenhänge und Gedanken erkannt. Ein allzu schnelles “Drüber-Scannen” wird dem Text nicht gerecht und hinterlässt die Leserschaft vielleicht sogar mit dem Gefühl der Unzufriedenheit. Zu Unrecht, wie wir finden. Zwar werden die Themenblöcke von beiden Autoren nur kurz angerissen, es lohnt sich aber den eigenen Standpunkt zu erforschen und selbst darüber zu reflektieren.
“Die Kamera” ist ein im Residenz Verlag erschienenes kleines Büchlein, das den Startpunkt zur neuen Buchreihe “Dinge des Lebens” markiert. Die Reihe beschäftigt sich mit alltäglichen Objekten, die eine besondere Wichtigkeit für Autoren haben und deren Leben wesentlich beeinflussten. Neben “Die Kamera” ist bisher noch “Das Buch” erschienen. Die Ausgaben sind zum Sammeln und Verschenken gedacht und eignen sich toll für das Schwelgen in Erinnerungen, beim in Decken eingehülltes Lesen an einem nebligen Novembersonntag.
Mit nur rund 60 Seiten ist das Büchlein (leider muss man sagen!) recht dünn geraten und man würde sich mehr Anekdoten von Elfie Semotan wünschen. Fotografierte sie doch neben ihren bekannten Mode- und Werbefotografien auch Landschaftsaufnahmen und Stillleben und kann davon sicherlich spannendes Erzählen. Alles in allem ist es aber ein feines Kleinod, welches sich gut als Geschenk für fotointeressierte Leser*innen eignet.
Details
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Erschienen:09/2022
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Umfang:64 Seiten
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Typ:Hardcover
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ISBN 13:9783701735631
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Preis (D):18,50 €